Fernseher vor gelbem Hintergrund
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3. Juli, BR, 21.15 Uhr:
TV-Tipp: "Beckenbauer"
Um 20.15 Uhr erinnern sich die Weltmeister Uli Hoeneß, Sepp Maier, Georg "Katsche" Schwarzenbeck, Paul Breitner und Günter Netzer sowie als Kontrahent der Niederländer Arie Haan an die WM 1974 und das Endspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Anschließend wiederholt der Bayerische Rundfunk einen Dokumentarfilm mit dem schlichten Titel "Beckenbauer" (21.15 Uhr), den die ARD erstmals am 8. Januar 2024 gezeigt hat. Tags zuvor war Franz Beckenbauer gestorben; eine fast schon bizarre Koinzidenz, denn der Ausstrahlungstermin hatte bereits Wochen zuvor festgestanden.  Das eineinhalbstündige Porträt wirkt wie ein Gedenkstück, selbst wenn Philipp Grüll und Christoph Nahr gegen die Konvention verstoßen, nichts Schlechtes über Tote zu sagen. Sorgfältig rekonstruieren die Autoren das Leben jenes Mannes, der die Fans polarisiert hat wie kaum ein anderer, weil er das Schwere leicht wirken ließ: Bei Beckenbauer war Fußball Kunst, nicht Arbeit. 

Natürlich lag es nicht nur an ihm, dass die Sportart in den Siebzigerjahren ihr proletarisches Image verlor und nun auch Schöngeister entzückte. Fußball wurde salonfähig, was den Proletariern prompt missfiel: Plötzlich wurden prominente Fußballer wie Beckenbauer und Günter Netzer zu Popstars. Der Mann, den sie "Kaiser" nannten, versilberte seinen Ruhm mit Werbung ("Kraft in den Teller – Knorr auf den Tisch") und Schlagern ("Gute Freunde kann niemand trennen"). Mit ihm begann die Kommerzialisierung des Fußballs.

Diesen Bogen schlagen Grüll und Nahr allerdings nicht, selbst wenn Walter Beckenbauer gewissermaßen als Zeuge der Anklage fungiert und bedauert, dass der Kontakt so gut wie abgebrochen sei, weil fortan alle Terminanfragen über Robert Schwan, den Manager des jüngeren Bruders, gelaufen seien; offenbar auch die privaten. Der Film konzentriert sich auf den phänomenalen Aufstieg des Stars und schwelgt in entsprechenden Spielszenen mit der Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften 1966 in England, 1970 in Mexiko sowie dem gewonnenen Finale gegen die Niederlande 1974 in München.

Vierzig Jahre später mündete der scheinbar endlose Höhenflug in einen fulminanten Absturz: "‚Hosiannah’ und ‚Kreuziget ihn’", kommentiert Joschka Fischer die unsympathische Eigenart der Deutschen, ihren Zeitgenossen erst ein Denkmal zu errichten, um sie später lustvoll vom Sockel zu stürzen. 

Im ersten Akt reihen die Autoren mit Hilfe von Weggefährten wie Netzer, Breitner und Maier jedoch einen Erfolg an den anderen. Zwar kommen in diesem Teil des Films neben Fischer auch Wolfgang Schäuble und Otto Schily zu Wort, aber zunächst nur als Fans, die von der Eleganz des Liberos am Ball schwärmen. Ein erster Schatten fiel auf die "Lichtgestalt", als die Boulevardpresse Ende der Siebziger eine Affäre des Familienvaters enthüllte und Beckenbauer als Steuerhinterzieher am Pranger stand; es folgte die Flucht nach New York.

Der zweite Akt befasst sich mit der Zeit nach dem Ende der aktiven Karriere: Beckenbauer gelang das seltene Kunststück, als Spieler wie auch als Trainer Weltmeister (1990) zu werden. Als er mit enormem persönlichen Einsatz sowie dank der ihm eigenen Mischung aus Charme und Charisma die WM 2006 nach Deutschland holte, galt er endgültig als Sonntagskind, das es aus den Trümmern eines zerstörten Nachkriegslandes mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit bis ganz nach oben geschafft und seinen Landsleuten ein "Sommermärchen" geschenkt hat. 

Doch dann wandelt sich das Stück im letzten Akt zur Tragödie. Bislang war Beckenbauer alles verziehen worden, selbst kritische Medien hielten sich zurück. Das änderte sich, als er 2013 die Berichterstattung über Missstände auf den Stadionbaustellen in Katar mit den Worten kommentierte, er habe keinen einzigen Sklaven gesehen. Zwei Jahre später fand der "Spiegel" heraus, dass bei der Vergabe der WM 2006 offenbar Geld im Spiel war; Beckenbauer wurde zum Gesicht der Korruption. Fischer erzählt, ihn hätten die Vorgänge nicht überrascht, die Gepflogenheiten beim Weltfußballverband Fifa seien schließlich bekannt.

Auch der kürzlich verstorbene Schäuble hielt die Skandalisierung für übertrieben. Viele Fans sahen das ähnlich; aus ihrer Sicht war enttäuschender, dass Beckenbauers Tätigkeit als Präsident des Organisationskomitees der WM, keineswegs ein unentgeltliches Ehrenamt war, wie der DFB bis 2016 stets behauptet hatte. Mit dem Tod seines Sohnes Stephan erlebte er einen schweren Schicksalsschlag, es folgten erhebliche gesundheitliche Probleme. All’ das ist natürlich bekannt, es lässt sich nachlesen in diversen Biografien, weshalb der Film im Grunde keinen Mehrwert hat. Sehenswert ist er dennoch, auch wenn die Autoren seltsamerweise abgesehen von den Frauen an Beckenbauers Seite sowie einer New Yorker Journalistin ausschließlich mit Männern gesprochen haben.