Im vergangenen Jahr haben sich erneut mehr Menschen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet als im Vorjahr. Mit 10.772 Anfragen sei ein "Rekordwert" erreicht, sagte die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung ihres Jahresberichts für 2023.
Gegenüber 2022 stiegen die Fälle um 22 Prozent, in den vergangenen fünf Jahren haben sie sich verdoppelt. Die gemeldeten Vorfälle seien indes nur ein geringer Teil dessen, was tätsächlich passiere, erklärte Ataman.
Mit einem Drittel der Fälle wurden Benachteiligungen auch im vorigen Jahr wieder vor allem aus dem Arbeitsleben gemeldet. Wegen Diskriminierung im Alltag, beim Einkauf, beim Arzt, auf der Wohnungssuche oder im Bus haben sich im vorigen Jahr 1.500 Menschen an die Antidiskriminierungsstelle gewendet. Einer von ihnen war Rainer A., der vom Kaufhaus-Detektiv aufgefordert wurde, sich auszuweisen - als einziger - weil er eine schwarze Person ist. Die Antidiskriminierungsstelle erreichte, dass die Geschäftsleitung sich entschuldigte, das Personal schulen will und Rainer A. als Geste einen Einkaufsgutschein anbot.
Rassistische Gründe an erster Stelle
Diskriminierungen aus rassistischen Gründen liegen mit 42 Prozent wie schon in den Vorjahren weiter an erster Stelle, an zweiter und dritter Stelle der gemeldeten Fälle folgen Benachteiligungen wegen einer Behinderung und des Geschlechts (25 bzw. 24 Prozent). Stark zugenommen haben Beschwerden wegen Altersdiskriminierung. Ataman verwies auf einen vergleichsweise neuen, ihren Worten zufolge alarmierenden Trend: "Die Menschen erleben Diskriminierung direkter, offener und härter", sagte sie. Sie bekämen die zunehmende Polarisierung und Radikalisierung in der Gesellschaft unmittelbar zu spüren.
Verlust der Scham
"Die Lage ist ernst", sagte Ataman. Während früher die Gründe für Diskriminierung nur hinter vorgehaltener Hand genannt wurden - wenn überhaupt - könne es heute passieren, dass ein Stellenbewerber seine Unterlagen mit Beschimpfungen und dem Hinweis zurückbekomme, solche wie er würden nicht eingestellt. Dies werde ihr aus den Beratungsstellen berichtet, sagte Ataman. In rund einem Viertel der gemeldeten Fälle konnte die Antidiskriminierungsstelle 2023 nicht eingreifen, weil die Menschen etwa bei der Polizei, im Jobcenter oder in der Schule beleidigt oder benachteiligt wurden. Vorfälle in staatlichen Behörden und dem öffentlichen Bildungssektor werden vom AGG nicht erfasst.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte forderte die Bundesregierung auf, endlich die im Koalitionsvertrag versprochene Stärkung des Diskriminierungsschutzes anzugehen. Seit zwei Jahren werde die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verschleppt, kritisierte Ataman. Das seit 2006 gültige Gesetz sei aber veraltet und zu schwach.
Die Ampel-Koalition will eigentlich den Rechtsschutz verbessern, den Anwendungsbereich des Gesetzes erweitern und Schutzlücken schließen. Ataman sagte dazu, dass die Staatsangehörigkeit als Auslöser von Benachteiligungen aufgenommen werden müsse. Bereits Atamans Vorgängerin hatte verlangt, die Fristen zur Meldung von Fällen zu verlängern und ein Verbandsklagerecht in das Gesetz aufzunehmen. Ataman sagte, kaum jemand traue sich, allein gegen den Arbeitgeber oder eine Wohnungsgesellschaft zu klagen und möglicherweise die Kosten tragen zu müssen.
Die unabhängige Antidiskriminierungsstelle ist beim Bundesfamilienministerium angesiedelt. Sie berät und unterstützt Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Weltanschauung, Religion, einer Behinderung, ihres Alters, wegen ihrer sexuellen Identität, aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft benachteiligt werden, wie es im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz heißt.