Strahlend nimmt der vierjährige Leopold Platz auf der Bank und beginnt, auf den Tasten wild zu improvisieren. Dabei schweift der Blick immer wieder nach vorne durch das Fenster, hinter dem man die Mechanik des Manuals arbeiten sieht - ein faszinierendes Getriebe. Elisabeth Kaiser hat sich schon auf den Weg zum Balg neben der Orgel gemacht. "Moment, Leopold, jetzt geht’s gleich los", sagt sie und drückt den Knopf neben dem Hauptschalter. Das Pedalwerk fährt langsam nach oben - so weit, bis der Bub mit seinen Füßen auch die einzelnen Pedale gut erreichen kann. Jetzt kann die Viertelstunde Übung beginnen. Die flexible Übungsorgel mit fahrbaren Pedalen in Augsburg ist weltweit wohl einzigartig.
Langsam tastet sich Leopold mit Händen und Füßen an die Noten heran, die ihm die Dekanatskantorin auf dem Blatt zeigt. Es klappt, ein echtes Erfolgserlebnis für Leopold. Dann gibt’s noch ein paar Gummibärchen, die nächste Schülerin kommt. Zehn Jahre alt, zwei Köpfe größer, aber noch lange nicht ausgewachsen. "Passt das so für dich?", fragt Elisabeth Kaiser, die dem Mädchen gerade wieder das Pedalwerk per Knopfdruck anpasst. Nach einem fröhlichen "Ja" probt die bereits fortgeschrittene Orgelspielerin mit ihrer Lehrerin schwierige Läufe und Akkordwechsel. Diesmal dauert die Übungseinheit eine halbe Stunde, Zehnjährige können sich länger konzentrieren. Gummibärchen gibt’s am Ende trotzdem, das gehört dazu.
Elisabeth Kaiser strahlt. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Kantorin der Kirchengemeinde Gersthofen, die im Augsburger Dekanat ihren Schwerpunkt in der Ausbildung an der Orgel sowie dem Aufbau der Singschule im Gemeindehaus von Heilig Kreuz hatte, hunderten Kindern und Jugendlichen das Singen und Orgelspielen beigebracht, Workshops und Fortbildungen geleitet. Jetzt geht sie in den Ruhestand. "Die Übungsorgel ist schon so etwas wie mein Vermächtnis", bekennt sie. Die Idee war aus ihrer praktischen Arbeit heraus geboren. "Wenn man junge Menschen an dieses Instrument heranführen will, muss man früh beginnen. Und der Abstand von Orgelbank zum Pedal ist einfach immer eine Hürde für Heranwachsende", sagt sie.
Alle Register mit heimischem Orgelbauer gezogen
Mit dem Augsburger Orgelbaubetrieb Knöpfler hatte sie einen heimischen Betrieb gefunden, der ein solches Instrument nach praxisnahen Vorstellungen umsetzen konnte. Es hat sechs Register, zwei Manuale, Pedal und Normalkoppeln - ein vollwertiges Instrument, das nicht mit verkleinerten Maßen auskommen, dabei aber die unterschiedlichen Körpergrößen berücksichtigen sollte. Dazu wurde eine stufenlose Pedalklaviatur-Verstellung mit einer höhenverstellbaren Orgelbank kombiniert. "Eine echte Herausforderung für uns. Meines Wissens nach gab es eine solche Orgel bisher noch nie", sagt Knöpfler-Geschäftsführer Martin Hackl.
Damit es auch was für das Auge gibt, wurde das Gehäuse der Orgel transparent mit großen Glasfüllungen gestaltet, um beispielsweise das Öffnen eines Tonventils beim Drücken einer Taste oder die Bewegung der Schleife beim Ziehen des Registerzugs beobachten zu können. Zudem sind alle Pfeifen mit ihren unterschiedlichen Bauformen von außen sichtbar. Direkt kann man das Brummen der tiefsten Basspfeife spüren oder die kleinste Metallpfeife entdecken. "Gleichsam mussten die Betriebssicherheit ebenso wie die Wartungsmöglichkeit gewährleistet bleiben. Schließlich ist die Orgel kein Spielzeug, sondern ein Instrument, das idealerweise Generationen überdauert", sagt Hackl weiter.
Bei der Prospektgestaltung wurde man dann noch einmal kreativ: Die Pfeifen wurden künstlerisch von Susann Schade aus Crimmitschau gestaltet und bilden allegorisch und bunt die Vielfalt von Musik ab. Wolken tragen die Musik in den Himmel und schaffen eine lockere Verbindung des Gehäuses zum Raum. Rund 83.000 Euro hat die Orgel gekostet. Die Rotarier Gersthofen, die bayerische Landeskirche, der Förderverein der Sing- und Orgelschule und das Dekanat Augsburg haben Geld zugeschossen, es musste aber noch ein Kredit aufgenommen werden.
Am Spieltisch hat mittlerweile der fünf Jahre alte Michael aus Gersthofen Platz genommen. "Seine 13 und 16 Jahre alten größeren Geschwister spielen bereits Orgel, er wollte das auch unbedingt tun. Mit der Übungsorgel kann er das auch", sagt Mutter Tanja Sturz. Zuerst spielt Michael seiner Lehrerin eine freie Improvisation vor, bevor diese wieder an den Balg geht, das Pedalwerk hochfahren lässt und die für heute geplanten Übungen starten. Währenddessen kommen schon die ersten Mädchen und Jungen für die Singschule in den Gemeindesaal, die nach dem Orgelunterricht startet. "Ich bin froh, dass es weiter geht", atmet Elisabeth Kaiser auf. Ihre Stelle wird ausgeschrieben.