evangelisch.de: Frau Bednarz. Es gibt eine Schnittmenge zwischen rechten Christen und AfD-Positionen. Welche sind das?
Liane Bednarz: Es gibt im Kern drei Schnittmengen zwischen dem Denken und der Programmatik der AfD und Christen mit Rechtsdrall: erstens die Abtreibungsthematik, zweitens die Genderthemen inklusive Homosexualität. Und drittens das, was diese Milieus als Islamisierung des Abendlandes betrachten und die Haltung gegenüber (muslimischen) Flüchtlingen.
Es geht immer um Ablehnung, also GEGEN Abtreibung, GEGEN das Gendern, GEGEN Ehe für Alle und so weiter?
Bednarz: Korrekt. Eine weitere Schnittstelle ist die Sichtweise auf Putin. Die AfD ist durchaus russlandfreundlich, und Teile der rechten Christen sind es auch. Seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine sind es weniger geworden. Aber in einem großen Teil des Milieus wurde Putin selbst nach der Krim-Annexion lange als der Garant christlicher Werte gesehen, weil er so entschieden gegen Homosexuelle vorgeht.
Warum sind nicht die Themen der Bibel für rechte Christen entscheidend? Beispielsweise Barmherzigkeit gegenüber Fremden beziehungsweise Geflüchteten?
Bednarz: Es gibt ausgeprägte Ressentiments gegenüber Geflüchteten, die auf den ersten Blick erstaunen, wenn man sich das Gebot der Nächstenliebe anschaut oder auch die Erzählung vom barmherzigen Samariter. Es ist allerdings so, dass in diesen rechten Kreisen, also sowohl unter rechten Christen als auch in AfD-Milieus, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten als Gefahr gesehen werden. Man fürchtet eine sogenannte "Überfremdung" und dass - platt formuliert - letztlich das christliche Abendland untergeht, weil hier angeblich eine Islamisierung stattfindet und man sozusagen Christen vor Muslimen schützen müsse. Das ist in Wahrheit aber eine Schutzbehauptung, um die menschenverachtende Ausgrenzung anderer Ethnien, besonders außerhalb Europas zu unterfüttern.
"Das ist diese Stimmungsmache gegen "die da oben", in der Regel gepaart auch mit Fremdenfeindlichkeit."
Können Sie noch kurz die Positionen erläutern, was rechts ist und was rechtsextremistisch?
Bednarz: Rechts ist der Oberbegriff all dessen, was das klassisch konservative Denken im Sinne eines CDU/CSU-Konservatismus sprengt und darüber hinausgeht. Rechts ist der Oberbegriff. Auf der untersten Stufe steht der Rechtspopulismus. Das ist diese Stimmungsmache gegen "die da oben", in der Regel gepaart auch mit Fremdenfeindlichkeit. Dieses ganze Gerede von "Altparteien" oder auch "linksgrün versifft".
Linksgrün versifft? Dazu zählten in diesem Milieu ja alle Parteien, außer der AfD.
Bednarz: Ja. Je völkischer es bei den Rechten wird, also je mehr man in ethnisch-kulturellen Kategorien denkt, umso mehr spricht man von rechtsradikal oder auch völkisch-rechtsradikal. Beides ist grundsätzlich von der Verfassung noch gedeckt.
Das heißt, man darf auch gegen Einbürgerung von Migranten sein oder gegen doppelte Staatsbürgerschaften?
Bednarz: Ja. Erst dann, wenn es sich offen kämpferisch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet, spricht man von rechtsextremistisch. Die Grenzen sind, wie man sich denken kann, fließend. Deshalb schaut der Verfassungsschutz auch so genau hin und prüft, ob die AfD nicht nur ein Verdachtsfall für Rechtsextremismus ist, sondern auch insgesamt rechtsextremistisch.
Das ist noch nicht entschieden. Aber zentrale Abgeordnete wie Björn Höcke oder einzelne Landesverbände darf mal als gesichert rechtsextrem bezeichnen.
Lassen Sie uns auf Beispiele schauen, was ist konservativ, was rechts oder rechtsextrem am Beispiel der sogenannten "Homoehe" beziehungsweise der Ehe für alle?
Bednarz: Bei dem Beispiel Homosexualität würde ich die Grenze primär ziehen zwischen konservativ und rechts. Das Thema spielt derzeit im Rechtsextremismus, spricht ganz weit rechts außen, keine besonders große Rolle. Aber in den rechten Kreisen diesseits des Extremismus sehr wohl. Für viele sehr gläubige Christen hat die traditionelle Ehe nach wie vor einen hohen Wert und und es gibt auch entsprechende Bibelstellen, die Homosexualität untersagen. Allerdings, wenn man sie sich im historischen Kontext anschaut, haben sie nichts zu tun mit homosexuellen Lebensgemeinschaften im heutigen Sinne, sondern es geht daher eher um Sklaven-Verhältnisse oder auch Prostitution. Es gibt dennoch gewisse Vorbehalte in sehr traditionell christlichen Milieus, weil sie schlichtweg Angst haben, sich mit einer Befürwortung von Homosexualität zu versündigen. Das ist jetzt also nicht bewusst rechts. Also das Beharren auf der traditionellen Ehe kann man als konservativ etikettieren, sofern keine Ressentiments hinzukommen.
"Verschwörungsfantasien sind gerade unter rechten Christen extrem verbreitet."
Ist das Konsens?
Bednarz: Nein, im konservativen Spektrum gibt es beide Positionen. Ich persönlich, und dahin geht erfreulicherweise auch der Trend, würde sagen: Was gibt es eigentlich Konservativeres, als wenn zwei Menschen sich lebenslange Treue versprechen? In dieser Lesart ist die "Ehe für alle" (nach der Homosexuelle heiraten können) sogar genuin konservativ. Aber es kippt natürlich da ins rechte Denken, auch in Verschwörungstheorien.
Inwiefern?
Bednarz: Verschwörungsfantasien sind gerade unter rechten Christen extrem verbreitet. Da wird eine sogenannte "Homosexualisierung" der Gesellschaft herbeiphantasiert. Es wird behauptet, es gäbe in den Schulen Werbemaßnahmen für die Homosexualität. Das ist Unsinn. Anstatt zu sehen, dass Aufklärung über Homosexualität in Schulen dem Zwecke dient, Kinder zu oder Jugendliche zu integrieren, die früh homosexuell fühlen. Ich erinnere daran, dass gerade unter männlichen homosexuellen Jugendlichen nach wie vor die Suizidrate ausgeprägt ist. Da gab es viel Leid, das nicht gesehen wurde.
Was wäre da eine rechtsextreme Position? Dass die Menschen verfolgt und entrechtet werden?
Bednarz: Das wäre in der Tat eine rechtsextreme Position.
Was ist die AfD-Position dazu?
Offiziell wird in den AfD-Parteiprogrammen nicht gegen Homosexuelle gehetzt. Aber es wird auf Parteitagen Stimmung gemacht, etwa wenn Kandidaten sagen, sie seien verheiratet und hinzufügen: "Natürlich mit einer Frau". Also ist das Ressentiment da.
Ja, zum Beispiel hat der AfD-Spitzenkandidat der EU-Wahl, Maximilian Krah, auf seinem Account von X, vormals Twitter, diesen Post fixiert: "Die Regenbogenfahne ist das wahre Zeichen dessen, was wir heute als westliche Werte bezeichnen. Identitätspolitik für winzige, sexuell definierte Minderheiten auf Kosten der Mehrheit. Hass auf die eigene Tradition und Kultur. Ablehnung der Familie in einem Wort: Dekadenz." Tatsächlich ist das eine Unterstellung, Homosexuelle hassen weder die eigene Kultur noch die Familie.
Bednarz: Die rechte Szene neigt insgesamt dazu, den liberalen Westen und die liberale westliche Moderne zu verachten und als dekadent zu diffamieren. Und da gibt es mit rechten Christen Übereinstimmungen, man hat gleiche Feindbilder.
Was ist mit dem Genderthema?
Bednarz: Aus meiner Sicht ist Gender das größte Mobilisierungsthema unter Christen mit Rechtsdrall und dem rechten politischen Milieu. Und an dem Beispiel lässt sich sehr gut die Grenze zwischen konservativ und rechts aufzeigen.
Es gibt Gender Mainstreaming, das ist der Abbau von Diskriminierungen zulasten von Frauen. Da reden wir dann etwa über Frauenquoten. Konservative sind meistens dagegen, Liberale eher dafür. Man kann sachlich darüber streiten.
Dann gibt es Gender Diversity, also den Abbau von Diskriminierung zulasten von nicht heterosexuellen Beziehungen oder auch Transmenschen. Da kann man dann auch wieder diskutieren. Eigentlich. In rechten Kreisen aber wird gerne Stimmung gegen beides gemacht.
Und weiter?
Bednarz: Der nächste Aspekt ist die Gendersprache. Die meisten Konservativen gendern nicht. Ich auch nicht. Allerdings, so meine Haltung dazu: Wer das machen möchte aus eher linken Milieus, soll es machen. Das ist eigentlich kein Aufreger Thema. Aber es wird von rechts aufgeblasen als demokratiegefährdende Praxis.
Dann gibt es die Genderforschung, die sich mit all diesen Fragen beschäftigt, und es gibt zugegebenermaßen dort ein paar radikale Stimmen, aber die machen eher die Minderheit aus. Kein Grund, durchzudrehen.
Das Genderthema ist von den Rechten gekapert?
Bednarz: Nicht nur das, es wird unehrlich damit umgegangen! Rechte picken sich oftmals extreme Beispiele heraus und kreieren daraus eine Verschwörungstheorie. Etwa dass angeblich jetzt die Menschen umerzogen werden sollen. Männer und Frauen dürften keine Männer und Frauen, sondern geschlechtsneutral sein und würden quasi nicht mehr einfach in ihrer Bipolarität akzeptiert. Das ist Unsinn.
"Keiner einzigen Familie mit Mann und Frau wird dadurch etwas weggenommen, dass Homosexuelle heiraten können."
Was ist mit dem Kampfbegriff "Homosexualisierung"? Ein rechtes Wording?
Bednarz: Ja. Der Begriff "Homosexualisierung" ist schon an sich völliger Unsinn. Ich kenne viele homosexuelle Männer, aber niemand hat den Anspruch, andere auch homosexuell zu machen. Bei der Aufklärung über Homosexualität geht es wie gesagt darum, dass man Diskriminierungen abbaut. Und was dann auch gerne unter rechten Christen herbeifantasiert wird, ist, dass jedwede Liberalisierung zum Beispiel der Ehe, die wir hatten, ein Angriff auf die Familie sei. Wo denn? Keiner einzigen Familie mit Mann und Frau wird dadurch etwas weggenommen, dass Homosexuelle heiraten können.
Haben Menschen Angst, dass sie sich anstecken mit Homosexualität?
Bednarz: Wenn behauptet wird, es finde in Schulen Homosexualisierung statt, dann klingt das ja tatsächlich so, dass man Angst habe, die Kinder könnten sich dort gewissermaßen damit "anstecken". Und dann wird auch sehr manipulativ mit logischen Fehlschlüssen gearbeitet, die sich für viele zunächst mal logisch anhören, es aber nicht sind. Beispielsweise wird gesagt, Homosexualität sei "nicht natürlich". Aber offensichtlich stimmt das ja nicht. Es gibt durch die ganze Geschichte der Menschheit hindurch Homosexualität. Es gibt im Tierreich Homosexualität - also so wahnsinnig unnatürlich kann das ja gar nicht sein.
Was wäre die rechte Position, was rechtsextrem?
Bednarz: Rechts oder rechtspopulistisch wäre definitiv die Aberkennung der Rechte der Homosexuellen, etwa auf Ehe für alle. Der Begriff "rechtsextremistisch" ist auf Abschaffung des Staates bezogen, diese Kategorie passt hier nicht.
Rechtsextremistische Inhalte beinhalten auch die Abwertung anderer Ethnien und Religionen in einem Staat - bei diesem Thema schwer zu bestimmen. Er passt bei der Verfolgung und Tötung von Homosexuellen, wie sie es im Drittem Reich gab und im Iran gibt.
Warum ist die Abgrenzung gegen rechts so wichtig?
Bednarz: Die Abgrenzung ist deshalb so wichtig, weil die Neue Rechte sich gerne als konservativ etikettiert und so selbst harmloser darstellt, als sie es ist.
Liane Bednarz ist Juristin und Publizistin. Sie ist Mitglied der CDU.
Ihr Buch heißt: Die Angstprediger – wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern