Blick in ein Patientenzimmer im Palliativzentrum
epd-bild/Jörn Neumann
Der Psychiatrieprofessor Karl Beine beklagt in der Sterbehilfe Debatte: "Selbsttötungen - allein oder mithilfe anderer - wird so der Weg in die Normalität gebahnt."
Debatte um Sterbehilfe
Experte fordert zwei unabhängige Fachleute
Der Psychiatrieprofessor Karl Beine beklagt in der aktuellen Debatte über die Sterbehilfe eine Überbetonung des individuellen Selbstbestimmungsrechts.

"Der Lebensschutz der Sterbewilligen bleibt dabei auf der Strecke", sagt Psychiatrieprofessor Karl Beine. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) fordert der emeritierte Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke eine gesetzliche Regelung zur Suizidbeihilfe. Diese müsse sicherstellen, dass zwei unabhängige Fachleute zu unterschiedlichen Zeiten feststellten, dass ein sterbewilliger Mensch seine Suizidentscheidung freiverantwortlich treffe.

Grundlegend für einen Suizidwunsch sei, einen gegenwärtigen oder in Zukunft befürchteten Zustand nicht erleben zu müssen, erklärt der Psychiater. Das eigene Leben werde nicht länger als lebenswert empfunden. Beine kritisiert eine Schieflage. Der willentlich vorverlegte Todeszeitpunkt werde in der öffentlichen Diskussion "als Ausdruck höchster Selbstbestimmung in Freiheit glorifiziert", sagt er. Dabei sei der Begriff "Freitod" ein Euphemismus - ähnlich wie die Formel vom "selbstbestimmten Sterben".

Beine beklagt: "Selbsttötungen - allein oder mithilfe anderer - wird so der Weg in die Normalität gebahnt." Ausdruck dieser Entwicklung sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2020. "Mit ihrem Urteil haben die Richter die Idealisierung des Selbstbestimmungsrechts verstärkt, weil die äußeren Einflüsse auf das Zustandekommen einer 'freien' Suizidentscheidung zu wenig in Betracht gezogen wurden", sagt Beine.

Dabei seien die häufig verwendeten Begriffe von der "Überalterung", der "Rentnerschwemme", der "Kostenexplosion im Gesundheitswesen" oder dem "Pflegenotstand" nicht dazu angetan, den Lebensmut vulnerabler Menschen zu stärken. Die Zustände in nicht wenigen Altenheimen und Kliniken förderten die Neigung, den eigenen Suizid in Erwägung zu ziehen. Niemand wolle schließlich anderen zur Last fallen, betont der emeritierte Professor.

Um eine ausgewogene Balance zwischen dem Recht auf assistierten Suizid und dem generellen Lebensschutz zu erreichen, muss nach Beines Überzeugung ein Gesetz sicherstellen, dass die Feststellung einer freiverantwortlichen Suizidentscheidung von zwei unabhängigen Fachleuten zu unterschiedlichen Zeiten erfolgt - frei von finanziellen Anreizen. Der flächendeckende Ausbau der Palliativmedizin, eine ausreichende Hospiz-Versorgung, eine verbesserte Alltagsassistenz für ältere Menschen im gewohnten Umfeld und eine ausreichende Suizidprophylaxe seien Grundvoraussetzungen für freie Entscheidungen, erklärte der Psychiater.