Der Hospizverein Region Fürth zählt 855 Mitglieder und begleitet in Zusammenarbeit mit dem Palliativ-Care Team insgesamt rund ein Drittel der Menschen, die sich auf die letzte Wegstrecke ihres Lebens machen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erzählt der ehemalige Leiter des Hospizvereins, Roland Hanke von seinen Erfahrungen.
epd: Herr Hanke, 1990 wurde der Hospizverein Fürth gegründet. Wie waren die Situation der Hospizarbeit und die Versorgungslage in den 1990er-Jahren?
Roland Hanke: Der Hospizverein war ursprünglich sehr von Ärzten dominiert gedacht. Die Versorgungslage war sehr medizinisch-wissenschaftlich betont. Auch damals hatten die ambulante und die stationäre Pflege eher wenig Zeit. Diakoniestationen und Caritas-Ordensschwestern kamen mit mehr Zeit in die Haushalte. Das war aber in der normalen Pflege nicht möglich. Der Mensch und seine Nöte und Bedarfe am Lebensende wurden noch nicht wirklich bespielt, bis dann die ersten Ehrenamtlichen kamen und zumindest telefonisch und teilweise auch vor Ort den Menschen erklärten, dass am Lebensende noch ganz viel getan werden könne.
epd: Es hat sich in den folgenden Jahren viel getan. Was waren die wichtigsten Erfolge?
Hanke: Für mich persönlich ist ein Baustein sicherlich die Einrichtung der Hospizapartments in einem Altenheim in Zirndorf gewesen. Dort hatte uns das Altenheim vier Zimmer gewidmet und in diesen Betten konnten wir nach hospizlichen Standards Menschen am Lebensende begleiten. Das lief über zwölf Jahre hinweg hervorragend, aber war auch teuer, denn es gab keine Anerkennung durch die Krankenkassen. Mit den Hospizapartments konnten wir zeigen: Wenn Pflegekräfte gewillt sind, kann man das auch im stationären Bereich sehr gut gestalten.
"Wir sind die einzigen und die ersten in ganz Deutschland, die im letzten Jahr die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung in deutsche Gebärdensprache haben übersetzen lassen."
Was wir als Hospizverein geschafft haben, ist aus der Hauptamtlichkeit heraus im Jahre 2009 das Palliativ-Care Team zu begründen. Das war eine damals nach den neuen Rahmenvereinbarungen mögliche medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen am Lebensende. Wir waren damals das dritte Team in Bayern, das sowas überhaupt machte, und das erste, das nach dem neuen Rahmenvertrag die Zulassung erhielt. Mittlerweile versorgen wir mit diesem Team über 21 Prozent aller Sterbenden in unserer Region und noch mal gut über 14 Prozent rein ehrenamtlich begleitete Menschen.
Auch die ehrenamtliche Arbeit hat sich in der Zwischenzeit professionalisiert …
Hanke: Erstens konnten wir sehr viel mehr Ehrenamtliche gewinnen. Diese haben anfänglich eine Ausbildung über zwei Wochenenden gemacht. Jetzt werden sie in einer Ausbildung von über 100 Unterrichtseinheiten inklusive Praktika geschult, auch in Kommunikationstechnik, in rechtlichen Belangen, aber auch von Berührungsqualitäten bis hin zu Aromaöl.
Ist Fürth da auch ein Vorbild für andere Regionen geworden?
Hanke: Ja, immer. Das führt auch dazu, dass aus ganz Bayern gründungswillige Teammitglieder und Vorstände zu uns kamen, in Fürth Praktika machten, sich zeigen ließen, wie das Ganze funktioniert. Wir sind die einzigen und die ersten in ganz Deutschland, die im letzten Jahr die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung in deutsche Gebärdensprache haben übersetzen lassen und das bundesweit ausgerollt haben.
Was hat sich seit dem Beginn Ihrer Arbeit in der Palliativmedizin getan?
Hanke: Die Versorgung ist deutlich professioneller geworden. Es gibt wesentlich mehr und bessere Standards, was zur Versorgung zu gehören hat. Der Mensch ist nicht nur ein körperliches Wesen, er ist auch ein soziales Wesen. Er hat eine Psyche und er hat spirituelle Wurzeln, die gleichwertig nebeneinander gepflegt werden müssen. Seit 2015 gibt es mit dem Hospiz- und Palliativgesetz einen Rechtsanspruch auf diese hochwertige, ganzheitliche Beratung. Sie haben bei schwersten Erkrankungen diesen Anspruch und bekommen es von den Krankenkassen vergütet.
Hat sich auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung etwas verändert?
Hanke: Nicht so stark, wie erhofft. Es fällt Menschen schwer, sich frühzeitig mit diesem Thema zu beschäftigen. Was sich aber in der Gesellschaft getan hat: Sie bereitet sich langsam darauf vor, den sterbenden Menschen gleichberechtigt als selbstverständlich wahrzunehmen. Wir versuchen, auf sehr niederschwellige Art dieses Thema in die Gesellschaft zu tragen. Wir zeigen uns als Hospiz- und Palliativkräfte und haben zum Beispiel auch einen regelmäßigen Talk mit dem Motto "… über das Leben reden" mit dem Kabarettisten Martin Rassau. Die Menschen müssen letztendlich wissen, an welche Adresse sie sich wenden können, wenn es so weit ist.
Wo muss noch am meisten getan werden?
Hanke: Eine stationäre Hospizversorgung hier in Fürth wäre unendlich wichtig. Es gibt eine Marge innerhalb der Politik und der Krankenkassen, die besagt, dass ein Bett für 60.000 Einwohner in einer Region reicht. Das ist in unserer Region erreicht durch die mehr als 30 Betten in Erlangen und Nürnberg. Dennoch können wir darstellen, dass allein in Fürth acht Betten in einem stationären Hospiz dringend notwendig und auch immer gut belegt wären.
"Wir erkennen, dass 90 Prozent der Suizidwünsche Appelle sind: An sich möchte ich ja leben, aber nicht unter diesen Bedingungen."
Es gibt einfach diese klassische Stammfamilie nicht mehr, wo Menschen bis zum Lebensende im Verbund zwischen Eltern, Kindern und Enkelkindern leben. Stationäre Einrichtungen wie Altenheime sind definitiv mit dieser Aufgabe überfordert.
Sie sind auch immer wieder als Experte zum Thema Sterbehilfe aufgetreten. Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts wird um den richtigen Umgang und die Gestaltung gesetzlicher Regelungen gerungen. Sehen Sie, dass es Fortschritte gibt?
Hanke: Gesetze sind sehr starr. Einen Menschen und seine Individualität durch diese Gesetze abzubilden, ist meines Erachtens nicht möglich. Wir Ärzte sind sehr glücklich, dass es hingegen Rechtsprechungen gibt, die die Sterbehilfe erlauben und die Situationen beschreiben, in denen Sterbehilfe möglich ist und in denen sie verboten ist. Wir erkennen, dass 90 Prozent der Suizidwünsche Appelle sind: An sich möchte ich ja leben, aber nicht unter diesen Bedingungen. In diesem Rahmen sind Gespräche wichtig, in denen sehr wohl die Lebenssehnsucht von Menschen erkannt werden kann und wo ihnen auch eine Hand gereicht wird, um wieder zurückzufinden ins Leben. Insofern habe ich Angst davor, dass es in ein strenges gesetzliches Korsett hineingepresst wird.
Vor Kurzem ist bekannt geworden, dass fraktionsübergreifend im Bundestag wieder an einem Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe gearbeitet wird. Die Regelung soll auch ein angemessenes Schutzkonzept beinhalten. Wie sehen Sie diesen neuen Anlauf?
Hanke: Schutzkonzepte waren bei den vorhergehenden Gesetzesinitiativen nur ein marginales Thema. Bei jungen Menschen ist die Suizidprophylaxe mittlerweile gut gelungen, aber bei älteren Menschen muss das noch viel mehr in den Fokus. Männer über 55 machen 75 Prozent aller aktiven Suizide aus. Da muss das Schutzkonzept deutlich mehr betont werden als der Weg, sich rechtlich korrekt das Leben zu nehmen. Ich wünsche mir viel mehr, dass die Gesellschaft den angekündigten Suizid als Notfall sieht, als Alarmzeichen für gesellschaftliche Strömungen. Zum Beispiel Einsamkeit im Altenheim, allein gelassen oder abhängig zu sein von bezahlten Pflegekräften, die sich aufgrund ihrer Arbeitslast gar nicht so engagieren können, wie sie es vielleicht wollen.