Nein, das möchte man als Kind wirklich nicht hören. Dass der Vater nach dem Tod seiner Frau einen Neuanfang gewagt hat: Damit lässt sich leben. Dass er den Tod sogar als Befreiung empfunden hat, ist aus Kindersicht allerdings empörend. Prompt drängt sich eine Szene aus dem Auftakt der 2018 gestarteten Reihe "Endlich Witwer" auf, als Georg Weiser den Kühlschrank noch am Tag der Beerdigung von oben bis unten mit Bierflaschen gefüllt hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Behauptung, Joachim Król (Jahrgang 1957) spiele hier die Rolle seines Lebens, ist natürlich absurd; der Westfale steht seit vierzig Jahren vor der Kamera und ist mit fast allen wichtigen Film- und Fernsehpreisen geehrt worden. Aber mit der von ihm selbst stark beeinflussten Hauptfigur hat er eine Rolle gefunden, die ihn hoffentlich noch ein paar Jahre begleiten wird, zumal ein wichtiges Element der Geschichten zeitlos bleibt: die mit dem Etikett "nicht ganz einfach" sehr unzureichend beschriebene Beziehung Georgs zu seinen Kindern.
Sie steht diesmal im Mittelpunkt: Gerd (Tristan Seith) und Susanne (Caroline Hanke ersetzt Friederike Kempter) haben den Vater zum Familientreffen nach Kreta gebeten. Georg will mit dem alten Wohnmobil der Familie schon seit einiger Zeit nach Marokko, ist aber im zweiten Film ("Forever Young", 2021) auf dem Bauernhof eines befreundeten Paars und im dritten ("Über alle Berge", 2023) auf Gomera hängen geblieben.
Auf Kreta haben die Weisers vor dreißig Jahren ihre Ferien verbracht, die Kinder haben ungetrübte Erinnerungen an diese Zeit; auch Ehefrau Brigitte wirkt auf dem Urlaubsvideo glücklich und gar nicht wie eine Frau, deren Ableben der Gatte geraume Zeit später wie eine Erlösung feiern würde. Die Begegnung des Trios am 6. September endet allerdings abrupt, denn Georg hat völlig vergessen, dass heute Brigittes Todestag ist; Gerd und Susanne wollen der Mutter mit einer griechischen Zeremonie gedenken. Prompt kommt es zum Streit, wie mutmaßlich immer, wenn die drei zusammen sind; an Familientreffen, stellt Georg fest, hasst er vor allem, dass man die Familie treffen muss. Kurz drauf will er seinen Kindern die Gelegenheit geben, sich bei ihm zu entschuldigen, was die Sache nicht besser macht.
Natürlich ist das ein veritabler Dramenstoff, aber davon ist das Drehbuch von Sathyan Ramesh, der auch die Vorlage zur letzten Episode geschrieben hat, weit entfernt. Regisseur Rainer Kaufmann, vielfach und höchst dekoriert, weiß ebenfalls, wie man bei solchen Geschichten die Balance zwischen Komödie und Tragödie hält. Der Film beginnt ohnehin unter einem ganz anderen Vorzeichen. Es sorgt zudem dafür, dass der von Król geradezu liebevoll als Stinkstiefel verkörperte Georg auch als Sympathieträger taugt: Bei seiner Fahrt im Wohnmobil hört er nicht etwa "Weiße Rosen aus Athen", sondern lächelnd einen Klassiker von Aphrodite’s Child. In einer Serpentine hätte er beinahe einen offenbar lebensmüden Mann überfahren, den er kurzerhand – "Heute wird nicht gestorben" – ins Auto nötigt, wo sich der Fahrgast (August Zirner) erst mal einen Joint anzündet. Er heißt eigentlich Günther, aber alle nennen ihn Sokrates, da er nicht nur aussieht wie ein Philosoph, sondern auch gern nichtssagende Weisheiten von sich gibt.
Zur Geschichte wird die Handlung, weil Susanne, die für die Umweltorganisation "Peace for Nature" (in Georgs Worten: "Dings for Bums") arbeitet, gemeinsam mit dem einheimischen Olivenbauern Alex (Jasin Challah) ein respektables Unterfangen entwickelt hat: Sie wollen Plastik aus dem Meer fischen und daraus Bausteine für Ferienhäuser formen. Wenige Tage nach Georgs Ankunft soll das Projekt Abgesandten der EU präsentiert werden, es geht um Fördergelder, ohne die das Start-up keine Chance hätte. Georg ist umgehend Feuer und Flamme, schließlich hatte er eine Firma für Kunstrasen; mit Plastik kennt er sich aus. Susanne betrachtet das Engagement des Vaters zwar mit gemischten Gefühlen, braucht aber erst mal dringend eine Antwort auf eine ganz andere Frage: Sie hat seit einem Jahr ein Verhältnis mit Alex; genauso lange verspricht er ihr schon, sich von seiner Frau (Artemis Chalkidou) zu trennen.
Weil die Wortbeiträge von Sokrates zwar gewichtig klingen, Georg aber nicht weiter helfen, bringt Ramesh eine weitere Figur ins Spiel: Am Kiosk trifft er zufällig Karin (Leslie Malton), mit der er 1991 bei einer Messe offenbar mehr als nur den Abend verbracht hat. Die lebenskluge Lehrerin öffnet ihm die Augen für Georgs und Susannes Perspektive, die ihn nie interessiert hat, weil er immer bloß um sich selbst gekreist ist; dabei sind Kinder doch was Wunderbares.
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