Die Einweihung der Friedenssäule ist ein Höhepunkt der Kunstaktion "Engel der Kulturen" der Künstler:innen Carmen Dietrich und Gregor Merten. Auch wenn sie "nur" nach Düsseldorf reist - und nicht wie geplant nach Jerusalem. Doch dazu später mehr. Zunächst ein Blick darauf, wie die Aktion begann.
Begeistert sind sie immer noch, aber manchmal auch etwas überrollt von all dem, was sie mit ihrer Idee angestoßen haben, erzählen Gregor Merten und Carmen Dietrich. Seit Jahren gilt es immer wieder, von ihrem Atelier im beschaulichen Bergischen Land in Burscheid aus, die nächste Aktion zu planen. Inzwischen sind es über 150 Orte, an denen der Ring ins Rollen kam. Mit diesem Erfolg ihrer Idee haben sie so nicht gerechnet: "Wir haben oft zusammengesessen und überlegt, wie wir unseren Teil dazu beitragen könnten, dass unsere Gesellschaft in ihrer Verschiedenheit der Kulturen und Religionen gut zusammenhalten kann", erzählt der studierte Grafiker und Maler Gregor Merten.
Mit seiner Atelierpartnerin, Carmen Dietrich, einer studierten Textildesignerin, arbeitet er schon seit dem Jahr 1990 künstlerisch zusammen. Zunehmend spürten beide den Drang in sich, nicht nur über gesellschaftlichen Wandel zu reden, sondern etwas Wirksames zu unternehmen. Als bildende Künstler:innen lag ein gemeinsames Projekt nahe. "Wir wollten für den Dialog vor allem etwas Sinnliches schaffen. Etwas, mit dem Kinder und Erwachsene gleichermaßen und im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können, dass wir alle, egal aus welcher Kultur und Religion wir stammen, zusammengehören. Und es sollte jeder und jede daran mitwirken können".
Ein Ring für das Miteinander
Aus diesen Gedanken heraus, entstand im Jahr 2006 zunächst das Symbol der Aktion. Ein Ring, indem die Zeichen der drei abrahamitischen Weltreligionen stellvertretend für alle Kulturen und Religionen wiederzufinden sind. Sie tauchen nur halb aus dem Ring auf, die komplette Form wird erst durch die innere Wahrnehmung des Betrachtenden sichtbar. "Keines der Zeichen sticht hervor, keine Gruppe kann herausgenommen werden, ohne das alle anderen erkennbar mit beschädigt wären", erläutert Merten. Auch die in den Zeichen erkennbaren geometrischen Grundformen Dreieck, Quadrat und Kreis versinnbildlichen hier die Vielfalt aller kulturellen Erscheinungsformen.
Katja Eifler volontierte nach ihrer Studienzeit im Lokalradio im Rhein-Kreis Neuss. Anschließend arbeitete sie als Radioredakteurin. Später als Redaktionsleiterin eines Wirtschaftsmagazins am Niederrhein. Heute ist sie freischaffende Journalistin, Online-Texterin, Coach und Moderatorin. Seit April 2023 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Aus dem Entwurf fertigten sie einen 1,5 m-Durchmesser umfassenden, ringförmigen Stahlholkörper. Er lässt sich als sichtbares Zeichen der Aktion rollen und dient zeitgleich als Schablone für die Aktionskunst vor Ort. "Dabei", so sagt Merten, "sei der Engel ein Zufallsprodukt gewesen. Er ergab sich aus der Betrachtung der ausgeschnittenen Form der Innenfläche des Rings. "Nach kurzem Zögern und der Gewissheit, dass auch im Koran der Engel der Bote zwischen Erde und göttlichem Glauben sei, wurde der Engel zum Namensgeber des Projekts.
"Engel der Kulturen" ist aber nicht nur ein symbolisches Kunstwerk, sondern auch ein partizipatives Projekt, das Menschen zusammenbringt. Und das gelingt so: Zunächst wird ein geeigneter Ort gesucht für das Einlassen der zum Projekt gehörenden Bodenintarsie des Engels. Häufig sind es öffentliche Plätze, religiöse Stätten oder kulturelle Zentren. Ist ein Platz und ein Mitorganisator in einer Stadt gefunden, kann die Aktion starten. Per Hand und zu Fuß wird der Stahlholkörper über verschiedenen Stationen bis zum Zielort gerollt. Alle Menschen vor Ort können sich seinem Weg anschließen. Oft sind es Kinder oder Jugendliche unterschiedlicher Kulturkreise und Religionen, die ihn begleiten. Häufig aber auch Pfarrer:innen, Prominente, Kirchenvertreter:innen wie Friedrich Kramer, Imame, Rabbiner oder Menschen mit einem politischen Amt.
Engel aus Sand und Stahl
An einzelnen Wegpunkten wird jeweils ein temporäres Bild des Engels aus Sand erzeugt, bevor das Zeichen in Form der Bodenintarsie am gewählten Standort endgültig installiert wird. Dort wird auch das neue Symbol für die nächste Stadt von den Teilnehmer:innen mit dem Schneidbrenner hergestellt. Die beim Ausbrennen herausfallenden inneren Engel werden aufeinander gelegt und bilden so die stetig wachsende Engel-der-Kulturen- Säule.
Mitwirkende organisieren an den einzelnen Stationen interreligiöse Gebete, kulturelle Performances, Workshops oder Diskussionsrunden. So entsteht Raum für Begegnungen zwischen Menschen, das zeigt beispielsweise ein Video aus dem Jahr 2023 in Hückelhoven. Oft ist die Aktion der Auftakt von Freundschaft.
Zwischenstopp Düsseldorf statt Jerusalem?
Doch nun zurück zu der Geschichte, warum die Säule zunächst in Düsseldorf und nicht wie lange geplant in Jerusalem gelandet ist. Von Beginn war es das Ziel der beiden Künstler:innen, die Säule als Zeichen für den Frieden der drei Weltreligionen in Jerusalem aufzustellen. Eine Herausforderung, die größer wurde, als gedacht. Dazu unternahmen sie Reisen ins Heilige Land und führten zahlreiche Gespräche.
Der Durchbruch kam im Jahr 2014, als Dr. Sabri, bis 2006 Großmufti von Jerusalem und einer der 138 Unterzeichner des offenen Briefes "Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch" an die "Führer christlicher Kirchen überall" von 2007, sein Einverständnis gab. Vor Ort begrüßte Bischof Pizzaballa, lateinischer Patriarch von Jerusalem und damaliger Botschafter des Vatikan im Heiligen Land, die Aufstellung der Säule und bot Platz auf einem Gelände der Franziskaner im christlichen Viertel der Altstadt an. Auch Wolfgang Schmidt, ehemaliger Propst der evangelischen Erlöserkirche und Repräsentant der EKD im Heiligen Land, begeisterte sich für die Idee und wollte die Säule aufstellen: mitten in der Altstadt, auf dem Dach des Basars mit Blick auf den Tempelberg. Genau dort, wo jüdisches, christliches, muslimisches und armenisches Viertel sich an einem Punkt begegnen. Der Propst beauftragte einen renommierten Architekten aus Bethlehem damit, Pläne für einen interkulturellen Dachgarten zu entwickeln.
Mit viel Überzeugungskraft sollte nun die Politik von der Idee begeistert werden und Mittel für die technische Realisierung vor Ort bereitstellen. Erneut reisten die "Engel der Kulturen" Macher auf eigene Kosten nach Israel, um die Pläne zu konkretisieren und mit der Stadt Jerusalem das Vorgehen zu besprechen. "Umso mehr hat es uns erschüttert, als die EKD in Hannover und weitere 'Instanzen' Ende 2019 dem Vorhaben einer Aufstellung der Säule an der Erlöserkirche ein Ende bereiteten.", sagt Gregor Merten.
Auf Anfrage von evangelisch.de teilte eine Sprecherin der EKD mit: ""Das Projekt im Schnittpunkt des täglichen Lebens von Angehörigen der verschiedenen Religionen war von Beginn an kontrovers. Die Schritte zur Umsetzung und die notwendigen Abstimmungsprozesse erwiesen sich unter den Gegebenheiten in Jerusalem als schwierig. Nach dem 7. Oktober 2023 ist es unmöglich geworden, einen Dialog mit den unterschiedlichen Nachbarn an der Erlöserkirche zu führen.
Anfang 2023 gewannen Merten und Dietrich NRW-Innenminister Herbert Reul, der schon 2012 den "Engel der Kulturen" am Europaparlament in Brüssel unter Mitwirkung des damaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz ermöglicht hatte, sich für die temporäre Aufstellung am Landtag in Düsseldorf einzusetzen. Sie wird begleitet von einer Ausstellung in der Bürgerhalle des Landtages, die vom 23. April bis Ende Juni 2024 zu sehen ist. "Wir möchten an diesem Ort die Abgeordneten des NRW-Parlaments für unser weiter bestehendes Ziel interessieren, die Säule der Engel der Kulturen doch noch in Jerusalem zu installieren. Sie dokumentiert, wie viele Menschen ihrer Hoffnung auf Frieden, besonders auch in der konfliktreichen Nahost-Region, in gemeinschaftlichen Zeichenhandlungen im Rahmen der Kunstaktion immer wieder Ausdruck verleihen", sagt Merten. Bis es soweit kommt, wird die Säule Engel für Engel weiterwachsen.