Pfarrer Jan Kingreen
epd-bild/Christian Ditsch
Pfarrer Jan Kingreen auf dem Turm der neuen Garnisonkirche, den die evangelische Kirche vor allem für Friedensarbeit und Demokratiebildung nutzen will.
Potsdamer Garnisonkirche
Kingreen setzt auf Demokratiebildung
Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Jan Kingreen, will dort die Demokratiebildung in den Mittelpunkt des künftigen Programms stellen.

Der neue Turm am historischen Ort sei dafür besonders gut geeignet, sagt Jan Kingreen dem Evangelischen Pressedienst. Der Pfarrer ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

epd: Herr Kingreen, wann wird der ganze Turm für Besucherinnen und Besucher zugänglich sein?

Jan Kingreen: Das steht noch nicht fest. Es laufen ja noch verschiedene Arbeiten, an den Außenanlagen, beim Innenausbau. Die Fahrstühle sind inzwischen eingebaut, da warten wir jetzt auf die Abnahme durch den TÜV. Das wird eine tolle Sache, wenn man dann vom Erdgeschoss bis in 60 Meter Höhe zur Aussichtsplattform mit dem Fahrstuhl fahren kann. Unsere Gäste können dann mit Rollator, mit Rollstuhl oder mit Kinderwagen hoch.

"Die etwa 30 Meter hohe Turmhaube, die noch fehlt, soll dann bis Ende 2025 angefertigt und auf den Turm gesetzt werden."

Wir sind bei den Bauarbeiten in der Endphase, gucken jetzt aber erstmal auf die baurechtliche Abnahme und noch nicht auf die Eröffnung. Die Kapelle kann vorher mit Sondergenehmigung schon für Gottesdienste genutzt werden. Ich hoffe, dass wir den kompletten Turm dann auf jeden Fall vor den Sommerferien eröffnen können. Die etwa 30 Meter hohe Turmhaube, die noch fehlt, soll dann bis Ende 2025 angefertigt und auf den Turm gesetzt werden.

Wie viel Geld brauchen Sie noch, um alles fertigzustellen?

Kingreen: Es ist alles ausfinanziert. Wir dürften sonst auch gar keine Ausschreibungen für die verschiedenen Arbeiten auf den Markt bringen. Wir sind da weiter bei ungefähr 42 Millionen Euro für einen funktionsfähigen Turm, mit Turmhaube. Was dann noch fehlt, sind das Glockenspiel, die Schallluken an den Turmfenstern und der Zierschmuck am Gebäude. Dafür bräuchten wir nochmal ungefähr fünf Millionen Euro. Mir wäre es allerdings viel wichtiger, noch eine zusätzliche Stelle für die inhaltliche Bildungsarbeit zu bekommen. Um das über zehn Jahre abzusichern, bräuchten wir ungefähr eine halbe Million Euro. Das wäre natürlich traumhaft, wenn wir die irgendwie bekommen könnten. Uns geht es bei dem Ganzen ja darum, Bildung zu machen.

Es wurde immer wieder kritisiert, dass dafür für viel Geld ein neuer Garnisonkirchturm errichtet werden müsste. Hätte für diese Bildungsarbeit nicht ein anderer Ort ausgereicht?

Kingreen: Nein, diese Bildungsarbeit kann man nicht einfach woanders machen. Sie lebt auch von dem Ort, an dem sie geschieht. Wir bekommen jetzt schon bei unseren Veranstaltungen das Feedback, dass das etwas Besonderes ist, weil es genau an diesem Ort stattfindet und nicht in irgendeinem Klassenzimmer. Wo nichts ist, fragt auch keiner nach. Wenn am Ort der historischen Garnisonkirche weiter nur eine Brache wäre, wüsste kaum ein Mensch, dass hier zum Beispiel 1933 der "Tag von Potsdam" war. Das kriege ich nachhaltiger erzählt, wenn ich darauf hinweise, dass das hier passiert ist.

Der "Tag von Potsdam", bei dem Hitler in der Garnisonkirche eine Rede gehalten hat, und die Geschichte der historischen evangelischen Militärkirche standen meist im Mittelpunkt der Kritik am Wiederaufbau des Turms. Zum Teil wird weiter befürchtet, der Turm könnte zu einem neuen Symbolort für Rechtsextreme werden. Können Sie das verhindern?

"Für Veranstaltungen im Turm gibt es zudem einen "Code of Conduct"."

Kingreen: Wir haben verschiedene Sicherheitsmechanismen, die so etwas verhindern. Eine Nutzung des Turms für rechtsextreme Zwecke wird nicht möglich sein. Auch draußen können direkt am Turm keine Veranstaltungen ohne unsere Zustimmung stattfinden, weil das unser Grund und Boden ist. Wir haben eine sehr rigide Hausordnung.

Für Veranstaltungen im Turm gibt es zudem einen "Code of Conduct". Da verpflichten sich die Veranstalter, dass sie gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus eintreten und sich für Vielfalt in der Gesellschaft einsetzen. Auch Geschichtsrevisionismus schließen wir so aus, solche Veranstaltungen können hier nicht stattfinden.

Was wollen Sie in der Bildungsarbeit aufgreifen?

Kingreen: Es geht um Demokratiebildung und die Auseinandersetzung mit der Geschichte, der eigenen Geschichte, der Geschichte der Garnisonkirche, mit dem, was hier passiert ist. Wir setzen mit unserer Bildungsarbeit mit kritisch-reflexiver Aufarbeitung einen Kontrapunkt, historisch-kritisch, sauber, wissenschaftlich fundiert. Der "Tag von Potsdam" ist da ein wichtiges Symboldatum. Potsdam und die Garnisonkirche wurden ja nicht zufällig dafür ausgewählt. Das war eben, vorsichtig gesagt, ein Ort für traditionell geprägte Eliten. Und Hitler und der NSDAP fehlte 1933 die absolute Mehrheit, die mussten weitere Antidemokraten gewinnen. Und die haben sie gewonnen, indem sie an die Orte gegangen sind, an denen sie die abholen konnten.

"Die kirchliche DDR-Geschichte aufzuarbeiten, wäre übrigens auch ein Bereich, in dem man noch viel mehr machen müsste."

Was den Widerstand gegen Hitler in Wehrmachtskreisen in der NS-Zeit betrifft, würde ich nicht sagen, dass die Garnisonkirche ein prägender Ort des Widerstands war. Was sie war, ist der religiöse Ort eines Infanterieregiments, in dem sich auffällig viele Widerstandskämpfer befunden haben. Aber was diese in der Kirche gemacht haben, wissen wir schlicht nicht. Das ist mir alles viel zu unklar, um damit Bildungsarbeit zu machen.

Die DDR-Geschichte ist auch total spannend. In der Turmkapelle hat sich bis 1968 eine relativ junge Gemeinde getroffen, die eigentlich damals schon das gemacht hat, was wir jetzt machen. Das war eine friedensbewegte und Demokratie-interessierte Kirche, die es anders machen wollte als vor 1945. Gegen die Gemeinde gab es dann in der DDR wie gegen andere auch Repressionen. Die kirchliche DDR-Geschichte aufzuarbeiten, wäre übrigens auch ein Bereich, in dem man noch viel mehr machen müsste. Und natürlich spielt bei der Garnisonkirche auch immer die Geschichte Preußens eine Rolle.

Seit 2017 wird an der Garnisonkirche gebaut und alte Steine wurden - von Spendern beschriftet - mit eingemauert.

In der evangelischen Kirche war ja vor 1945 eine mindestens deutschnationale Gesinnung weit verbreitet. Was unterscheidet die Garnisonkirche da von anderen evangelischen Kirchen?

Kingreen: Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn Friedrich der Große wurden dort beigesetzt, das hat sie zu einem besonderen Symbolort gemacht. Die erbeuteten Fahnen vor allem aus den Einigungskriegen wurden dort ausgestellt. Die Garnisonkirche ist so zu einer Art Nationalheiligtum geworden, das für militärische Erfolge in Preußen und die Verbindung von Thron und Altar stand.

"Darüber hinaus war die Garnisonkirche eine Attraktion in Potsdam, durch ihre schiere Größe, Schönheit und Lage."

Daran haben dann das Völkisch-Nationale und der Nationalprotestantismus angeschlossen und den Nährboden für die weitere Geschichte in der NS-Zeit gebildet. Darüber hinaus war die Garnisonkirche eine Attraktion in Potsdam, durch ihre schiere Größe, Schönheit und Lage. Da ist man als Tourist hingegangen, hat sich die Särge angeschaut und das Glockenspiel angehört. Sie war eine der großen, bedeutenden Stadtkirchen.

Wie stellen Sie sich dieser antidemokratischen Tradition der historischen Garnisonkirche?

Kingreen: Wir haben hier einen Ort, an dem sich 300 Jahre deutscher Geschichte wie unter einem Brennglas verdichten. Und wir setzen uns mit unserer Bildungsarbeit mit dieser Geschichte auseinander. Kein Mensch kann ernsthaft auf die verrückte Idee kommen, an demokratiefeindliche Traditionen irgendwie positiv anknüpfen zu wollen. Aber es ist unsere Geschichte, damit müssen wir uns auseinandersetzen. Da kann man nicht einfach hingehen und sagen, Preußen, das mach ich nicht, das sollen andere machen.

In der neuen Garnisonkirche machen wir Friedensarbeit und Demokratiebildung. Wir wollen zeigen, wie Demokratie funktioniert, und auch, wie in einer Demokratie Konflikte ausgetragen werden. Dafür eignen sich auch die Geschichte des Wiederaufbaus und der Streit darüber ganz gut. Der Wiederaufbau des Turms ist ja auch eine große Emanzipationsgeschichte. Da geht es um ein Projekt, das aus einer ganz anderen inhaltlichen Richtung kam und den rechtsextremen Initiatoren dann von der evangelischen Kirche aus der Hand genommen wurde. Der Garnisonkirchturm ist so zu einem Ort geworden, der sich ganz klar von Rechtsextremismus abgrenzt.

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