Laut einer gemeinsamen Umfrage von Arbeiterwohlfahrt (AWO), Paritätischem Wohlfahrtsverband und der Diakonie im Oktober 2023 verzeichneten soziale Einrichtungen bis dahin eine Kostensteigerung um durchschnittlich 16 Prozent. Bei den ambulanten Pflegediensten der Diakonie schilderten 73 Prozent ihre Lage Ende 2023 als wirtschaftlich angespannt. 54 Prozent hatten bereits das Vorjahr mit einem negativen Ergebnis abgeschlossen. Ein Drittel der befragten Einrichtungen gab an, ihre Liquidität reiche für maximal drei Monate, 8 Prozent sahen ihre Existenz unmittelbar gefährdet.
Bereits im Mai berichteten 89 Prozent der ambulanten Dienste in einer Erhebung der Diakonie und des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP), dass sie Neukunden hätten ablehnen müssen. Im Bereich der stationären Pflege konnten 72 Prozent der diakonischen Träger Leistungen nicht mehr erbringen, vor allem freie Betten nicht neu belegen. Ein Drittel der Pflegeeinrichtungen in Hessen sah sich in der Auswertung einer Umfrage der dortigen Diakonie im Juni von Insolvenz bedroht. "Die Zahlen zeigen es: Wir sind mitten in einer akuten Pflegekrise", sagte Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, schon damals.
Seither werden die Probleme zunehmend auch ganz offen sichtbar: In Bayern mussten zum Jahresende etwa die Diakonie Passau, das Diakoniewerk Maxvorstadt in München und der Diakonieverein Amberg Insolvenzen anmelden. Die Oldenburger Diakonie hat dies seit Jahresbeginn schon für fünf ihrer Einrichtungen getan – drei Seniorenheime, eine Suchtklinik und ein Service-Zentrum. Auch das Unternehmen Diakoneo ist mit seinen Kliniken in Nürnberg und Schwäbisch Hall in finanziellen Schwierigkeiten und hat bei den Kommunen die Übernahme der Defizite beantragt. Das ist nur die Spitze eines Eisbergs: zahlreiche Pflegedienste und Diakoniestationen, Kliniken und Heime in ganz Deutschland kämpfen um ihre Existanz.
Als ein Hauptgrund für die Schwierigkeiten führen die Einrichtungen in den Umfragen den Fachkräftemangel an, der sich durch erhöhte Krankenstände, bedingt durch Arbeitsüberlastung, noch verschärft. Durch höhere Tarifabschlüsse und die Inflation sind die Personal- und Sachkosten erheblich gestiegen. Diese Steigerungen würden von den Kranken- und Pflegekassen nicht oder erst zeitversetzt anerkannt.
Leistungen werden zurückgefahren
Nicht selten gibt es Zahlungsverzug: "Kranken- und Pflegekassen, aber auch viele Kommunen als Sozialhilfeträger lassen sich bei der Bezahlung von Rechnungen sowie bei den Vergütungsabschlüssen zu viel Zeit", kritisiert Loheide. Teilweise haben diese Kostenträger selbst mit Personalengpässen oder Cyberattacken zu kämpfen und sind deshalb säumig.
Durch die fehlenden Fach- und Assistenzkräfte können Personalschlüssel nicht eingehalten werden – mit der Folge, dass Stationen oder ganze Häuser schließen müssen und auch ambulante Dienste keine Klienten mehr annehmen können. Eine gute Auslastung ist jedoch nötig, um die Einrichtungen wirtschaftlich zu betreiben. Befeuert durch die steigenden Kosten kommt so ein Teufelskreis in Gang. "Die Einrichtungen geraten sehr schnell an den Rand ihrer Existenz", sagt Daniel Wagner, Pressesprecher der Diakonie Bayern.
Schnelle Hilfe ist nötig
Auch dort sprachen die Verantwortlichen schon im Mai letzten Jahres von einer "todernsten" Lage. "Und das gilt für fast alle Arbeitsbereiche", so Wagner. Während Leistungen in der Pflege, der Behinderten-, Kinder- und Jugendhilfe durch die Entgelte der Kassen und Sozialhilfeträger finanziert werden, steckt in den Beratungsangeboten – auch ein zentraler Arbeitsbereich der Diakonie – ein hoher Anteil an Eigenmitteln. "Teilweise bis zu 40 Prozent", erklärt Wagner und macht deutlich: "Wenn die Entgelte in der Pflege nicht auskömmlich sind, hat das auch Auswirkungen auf andere Bereiche."
Um die Pflegeeinrichtungen vor finanziellen Schieflagen und Insolvenzen zu schützen, sieht die Diakonie den Gesetzgeber, Kranken- und Pflegekassen sowie Sozialhilfeträger in der Pflicht und schlägt einige Sofortmaßnahmen vor: Ein Abschlag in Höhe von mindestens 85 Prozent der gestellten Rechnungssumme soll finanzielle Engpässe verhindern. Außerdem sollen auch Verzugszinsen angesetzt werden können. Tarifsteigerungen gegenüber der vereinbarten kirchlichen Arbeitsrechtsregelung bis zu einer Höhe von 1,5 Prozent sollen kurzfristig berücksichtigt werden. "Das kostet den Bund keinen Euro mehr", sagt Loheide, könne also rasch umgesetzt werden.
Viele Kosten nicht berücksichtigt
Die tatsächlich anfallenden Kosten müssten sich in den Entgelten widerspiegeln, verlangt die Diakonie weiter. Dies betrifft etwa die Leiharbeit, mit der personelle Lücken ausgeglichen werden und die um ein Vielfaches teurer ist als die reguläre tarifgebundene Arbeit. "Diese Kosten werden bisher nicht berücksichtigt", unterstreicht Loheide. "Darauf bleiben die Träger sitzen."
Außerdem hält die Diakonie die Zahlung eines Risikozuschlags für gemeinnützige Unternehmen im Pflegebereich für nötig. Diese Forderungen seien in die Verhandlungen zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz eingeflossen, ihre Umsetzung in den Vergütungsverhandlungen erfolge aber sehr unzureichend.
Eine weitere Baustelle sind Ausbildungs- und Investitionskosten. Die sollten eigentlich die Bundesländern übernehmen, so wurde es 1994 bei Einführung der Pflegeversicherung vereinbart. Aktuell beteiligt sich allerdings nur ein Viertel der Länder daran.
Konsequenzen für die Wirtschaft
Wie geht es weiter mit den Einrichtungen, die nicht mehr zahlungsfähig sind? In einem Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung sieht Maria Loheide "eine Chance, wieder auf die Füße zu kommen". Dabei werde von der bisherigen Unternehmensführung gemeinsam mit Beratern eine Zukunftsperspektive entwickelt und anschließend gerichtlich bewertet. Ein solches Verfahren läuft zur Zeit auch bei der Diakonie Passau. "Wir sind zuversichtlich, dass der Betrieb gut weitergehen kann", sagt Wagner.
Eine weitere Zuspitzung der Lage hielten Loheide und Wagner für katastrophal. Bisher wurden kleinere Einrichtungen, die allein nicht überlebensfähig waren, häufig von größeren Trägern übernommen. Doch eine solche Lösung in Form des "weißen Ritters" werde zunehmend schwieriger. "Das geht nicht mehr, denn die Großen haben inzwischen eben auch Probleme", sagt Wagner. Für größere Einheiten wie regionale diakonische Werke scheide sie ganz aus. "Da könnten im Zweifelsfall nur Teilbereiche saniert werden", so Wagner.
"Die Diakonien leisten ganz wichtige Dienste in ihrer Region", sagt Loheide. "Ohne sie bricht die soziale Grundversorgung weg." Die aktuelle Krisensituation, verbunden mit dem Wegfall von Leistungen sei paradox. "Eigentlich müssen wir die Angebote dringend ausbauen", unterstreicht die Diakonie-Vorständin. Der Bedarf werde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmen. "Kinder müssen betreut, mehr und mehr alte Menschen gepflegt werden. Sonst fällt das auf die Familien zurück."
Mit Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Wagner verdeutlicht die mögliche Kettenreaktion anhand eines Beispiels aus seinem Beritt: "Die Behindertenhilfe in Würzburg muss aufgrund von Personalmangel Betreuungen abgeben. Eltern müssen sie wieder selbst übernehmen und sind deshalb gezwungen, ihre Arbeitszeiten zu reduzieren. So fehlen den Betrieben dann die Fachkräfte." Im Einsatz für bessere und zukunftsfähige Bedingungen in Pflege und Betreuung hofft Loheide deshalb auch auf die Unterstützung der Arbeitgeber aus der Wirtschaft. "Es geht nicht anders, als dass wir eine Lösung finden."