Mechthild Klein/evangelisch.de
Blick durch den gotischen Turm aus dem Ulmer Münster
Ulmer Münster
Spagat zwischen Gotteshaus und Tourismusmagnet
Das Ulmer Münster mit seinen riesigen Ausmaßen muss nach Überzeugung des Ulmer Dekans Torsten Krannich auch für die kommenden Generationen erhalten bleiben. Dabei soll die größte protestantische Kirche Deutschlands nicht nur ein Touristenmagnet sein, sondern weiterhin sakraler Raum bleiben.

Diese Spannung beschreibt der Dekan, der seit einem halben Jahr im Amt ist, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für die vielen Besucher wird das Münster jedoch bald noch attraktiver: Sie kommen schon bald weiter hinauf auf den weltweit höchsten Kirchturm.

epd: Herr Dekan Krannich, bei Ihrem Amtsantritt haben Sie als Ihre Aufgabe beschrieben, das kirchliche Erbe für kommende Generationen zu erhalten. Welche Möglichkeiten sehen Sie dafür?

Krannich: In Ulm ist diese Frage ziemlich einfach zu beantworten. Denn das Münster als unser größtes Erbe ist unübersehbar, und die Kirche hat die nicht immer einfache Verpflichtung, das Münster mit seinen riesigen Ausmaßen auch in Zukunft zu bewahren. Um dieses Erbe wirken zu lassen, müssen wir dafür sorgen, dass das Münster nicht als Museum, sondern als geistlicher Ort wahrgenommen wird. Damit sich möglichst viele Menschen weiterhin mit christlicher Bilderwelt und ihren Werten auseinandersetzen.

Wie kann das geschehen?

Krannich: Da gibt es viele Möglichkeiten. Die Leute können beispielsweise Kerzen in einem Sandbecken aufstellen. Dieses spirituelle Angebot wird mit täglich bis zu 1.000 entzündeten Kerzen offensichtlich gerne angenommen. Führungen informieren über die Kunstschätze und ihre Bedeutung. Um die nachfolgenden Generationen zu erreichen, werden speziell Kindergärten und Klassen eingeladen, für die wir einen "Schulkoffer" entwickeln. Außerdem nutzen wir die sozialen Medien, ein neuer Account über das Münster stößt auf eine erfreuliche, zunehmende Resonanz.

Das Münster ist aber nicht nur Kirche, sondern zugleich auch ein bedeutender Touristenort und ein öffentlicher Raum für die gesamte Stadtgesellschaft.

Krannich: Zwischen diesen Polen gibt es tatsächlich immer wieder Spannungen, allein schon, weil eine Million Menschen das Münster jährlich besuchen. Deshalb ist beispielsweise ein ehrenamtlicher Ordnungsdienst nötig, wenn wegen Veranstaltungen nur eine eingeschränkte Nutzung möglich ist oder bei Gottesdiensten die Touristen eben nicht durch das Kirchenschiff schlendern können.

Dekan Torsten Krannich im Ulmer Münster. (Archivbild)

Welche Finanzmittel brauchen Sie, um das Münster erhalten zu können?

Krannich: Allein für den Unterhalt, also die laufenden Kosten ohne spezielle Baumaßnahmen wie den Einbau der neuen Fenster im nördlichen Seitenschiff, müssen wir 2,7 Millionen Euro jährlich aufwenden. Das ist aber nur ein unerlässliches Minimum, an sich wären eine Million Euro mehr im Jahr nötig.

Könnte ein Eintrittspreis für das Münster dafür eine Lösung sein?

Krannich: Auf keinen Fall! Es gibt zwar immer mal wieder Überlegungen in diese Richtung, trotzdem wird es keinen Eintritt geben. Denn das Münster soll weiterhin eine Kirche bleiben, die allen Menschen offensteht. Um die nötigen Gelder einzuspielen, wollen wir vor allem auf Spenden setzen. Dabei werden wir auch berücksichtigen, dass immer mehr Menschen - vor allem junge - nicht mehr mit Bargeld zahlen, sondern mit einer Karte oder dem Smartphone. Über Aktionen, wie etwa Stiftungen für neue Fenster, können wir gezielt Ulmer Bürger ansprechen, die immer noch sehr verbunden sind mit ihrem Münster. Denn das Münster war von Anfang an eine Kirche, die von den Bürgern für die Bürger gebaut worden ist.

Ab Mai wieder aus 101 Metern auf Ulm blicken

Für den Münsterturm, den höchsten Kirchturm der Welt, wird im Gegensatz zum sakralen Raum ein Eintritt erhoben. Allerdings kann der Turm schon seit längerem nicht mehr ganz bestiegen werden.

Krannich: Wegen der umfangreichen Sanierungsarbeiten vor allem bei den Treppenstufen kommen die Besucher nur bis zur Turmstube in 70 Meter Höhe. Ab 1. Mai ist jedoch ein weiterer Aufstieg bis zur zweiten, 101 Meter hohen Plattform möglich. Dafür hat die Münsterbauhütte intensiv gearbeitet. Allerdings wird es mindestens noch zwei bis drei Jahre dauern, bis auch wieder der Aufstieg auf die letzte Plattform in 146 Meter Höhe möglich ist. Auch dann wird es jedoch nur einen eingeschränkten Zugang geben - etwa durch Führungen oder besondere Besuchszeiten. Ursache dafür sind vor allem die umfangreichen Bestimmungen des Brandschutzes.

Um mehr Menschen für die Kirche zu erreichen, setzen Sie neben der Attraktion des Münsters auch auf Social Media.

Krannich: Diese Kommunikationsform ist ein niedrigschwelliges Angebot für Leute, die wir mit unseren klassischen Medien, wie etwa dem Gemeindebrief, überhaupt nicht mehr erreichen. Wir kommen also wieder mit mehr Menschen in Kontakt. Außerdem sind die sozialen Medien eine große Hilfe bei Organisationsfragen, wenn etwa jemand Informationen für Taufe oder Trauung benötigt. Das seelsorgerliche, persönliche Gespräch soll diese Kommunikation jedoch nicht ersetzen. Der neue Account "Ulm evangelisch" wendet sich an eine breitere Öffentlichkeit in der gesamten Stadt und ihrer Gesellschaft.

Die Gesellschaft leidet unter einer wachsenden Polarisierung. Kann die Kirche dagegen etwas tun?

Krannich: Die Kirche kann einen ganz wesentlichen Beitrag gegen Polarisierung leisten, weil sie eine der wenigen Organisationen ist, die immer noch Kontakte zu ganz unterschiedlichen Lebenswelten hat. Um die Proteste der Bauern zu nehmen: Die Kirche ist nicht nur in der Stadt präsent, sondern auch im ländlichen Raum. Ich selbst war beispielsweise zehn Jahre Pfarrer in einem ländlichen Kontext und kenne die Probleme dort aus eigener Anschauung. Die Kirche kann also eine Plattform für verschiedene Positionen bieten und zwischen ihnen vermitteln.

 

Die Kirche hat aber auch genügend eigene Probleme, Stichworte sind etwa zurückgehende Zahlen, weniger Pfarrstellen. Wie geht das Dekanat Ulm damit um?

Krannich: Wir haben eine engagierte und zielführende Diskussion, wie wir den Wegfall von einem Viertel der Pfarrstellen kompensieren können. So sollen in Zukunft beispielsweise die Gottesdienstzeiten so aufeinander abgestimmt werden, dass jeder Pfarrer und jede Pfarrerin an einem Sonntag dieselbe Predigt in zwei Kirchen halten kann. Der sonntägliche Abendgottesdienst im Münster soll zu einem zentralen Gottesdienst für die Ulmer Gemeinden werden, das alles spart erhebliche Personal-Ressourcen.