Viele verschlungen rot-weiße Ringe vor blauen Himmel.
Artin Bakhan/unsplash
In der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und auch in einigen landeskirchlichen Synoden gibt es Bestrebungen, mehr junge Menschen einzubinden und man versucht, dies durch Quotenregelungen zu gewährleisten.
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Jung sein ist nicht alles
Menschen zeichnen sich durch viele verschiedene Aspekte aus. Und doch werden bei der Frage, welche Kompetenzen und Interessen eine Person hat, häufig äußere Merkmale herangezogen – auch in Kirche. Aus Individuen werden Repräsentant:innen einer bestimmten Gruppe, Menschen werden zu Tokens. Als jung gelesene Frau kennt Christiane Ehrengruber dieses Vorgehen und hofft, dass Kirche lernt, neu zu denken.

Schon früh habe ich begonnen, mich ehrenamtlich einzubringen. In der Grundschule habe ich mich dafür eingesetzt, dass alle in die Klassengemeinschaft integriert werden und niemand alleinsteht. Nach der Konfirmation habe ich mich in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit engagiert und mit dem Beginn des Studiums begann ich, hochschul- und kirchenpolitisch aktiv zu sein.

So manche Tür wurde mir aufgrund meines Alters geöffnet: Als junger Mensch unter vielen nicht mehr ganz so jungen Menschen sticht man heraus und kann mit etwas Geschick dem, was man sagt und tut, mehr Bedeutung verleihen. Gern werden auch Menschen wie ich gebeten, Ergebnisse aus Arbeitsgruppen vorzustellen. Eine großartige Möglichkeit, das nochmal hervorzuheben, was mir selbst wichtig ist. Menschen wie ich werden auch oft auf Konferenzen und Panels eingeladen, um unsere Perspektive auf verschiedenste Dinge darzustellen.

Mittlerweile gibt es sowohl in der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als auch in einigen landeskirchlichen Synoden Bestrebungen, mehr junge Menschen einzubinden und man versucht, dies durch Quotenregelungen zu gewährleisten. Auch im internationalen Kontext werden gezielt junge Menschen eingeladen, ihre Perspektive einzubringen. Delegationen zum Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und zur Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) werden mit jungen Menschen ergänzt und meist gibt es eigene Jugend-Vorversammlungen. Doch das ist nicht genug.

Eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 hat ergeben, dass 15 Prozent der Deutschen in den zurückliegenden 24 Monaten aufgrund ihres Alters diskriminiert wurden. Das kann sowohl ein "zu alt" als auch ein "zu jung" sein. Gerade jungen Frauen wird oft weniger zugetraut, hier geht Ageismus (also Diskriminierung aufgrund des Alters) Hand in Hand mit Sexismus.

Netzwerke als Interessensgruppe und nicht als homogene Maße
Menschen zeichnen sich durch viele verschiedene Aspekte aus – eine Person ist geprägt von ihrer Herkunft, der Kultur bzw. den Kulturen, mit denen sie aufgewachsen ist. Auch Bildung, Leidenschaften oder Hobbies können eine Rolle in der Persönlichkeitsbildung spielen. Diskriminierungserfahrungen, Gender und Geschlecht prägen ebenfalls. Und nicht zu vergessen die vielfältigen, ganz individuellen Erfahrungen, die Menschen im Laufe ihres Lebens machen. Ein weiterer Mosaikstein unter vielen kann das Alter sein, wobei da noch zwischen dem tatsächlichen und dem gefühlten Alter zu unterscheiden ist.

"Junge Menschen sind genauso verschieden, wie alle anderen Menschen auch."

Junge Menschen sind genauso verschieden, wie alle anderen Menschen auch. Es gibt auch unter jungen Menschen vielfältige Persönlichkeiten, Meinungsverschiedenheiten, verschiedene Geschmäcker und unterschiedliche Perspektiven. Zwar gibt es gerade innerhalb von übergeordneten Strukturen wie Synoden und Organisationen Zusammenschlüsse von jungen Menschen, doch diese sind eher struktureller Natur – denn obwohl junge Menschen besonders herausstechen, wird ihnen doch oft nicht zugehört. Nicht weil alle jungen Menschen die gleichen Ansichten und Ziele hätten, sondern um die strukturelle Diskriminierung auszugleichen, ist es wichtig, sich zusammenzuschließen und gegenseitig zu stärken.

In solchen Netzwerken können sich Interessensgruppen gegenseitig unterstützen. Durch den Austausch können neue Erkenntnisse gewonnen und Strategien gemeinsam erarbeitet und implementiert werden. Und dennoch bleibt die Gruppe der jungen Menschen sehr heterogen. Man befindet sich vielleicht in einer ähnlichen Phase des Lebens mit vergleichbaren Herausforderungen und auch die Erfahrungen, die man als Angehörige*r einer speziellen Generation gemacht hat, können sich ähneln. Doch nicht alle jungen Menschen sind beispielsweise Digitalisierungs-Expert:innen oder "woke". Menschen über 50 können deutlich digital-affiner sein als Menschen unter 30. Und es gibt mit großer Sicherheit zu jedem Thema auch Expert:innen, die jung gelesen werden (das heißt jung erscheinen).

Kompetenz muss man sich aneignen. Die wenigsten Menschen werden mit klugen Gedanken und weitreichendem Wissen auf einem bestimmten Gebiet geboren, sondern müssen sich dies durch Bildung und Erfahrung anreichern. Und das kann zu jeder Zeit im Leben eines Menschen geschehen. Bei der Frage, welche Kompetenzen und Interessen eine Person hat, sollten also nicht einfach äußere Merkmale herangezogen werden. Und im Umkehrschluss kann nicht angenommen werden, dass bestimmte Personengruppen selbstredend von speziellen Themenbereichen wenig Ahnung haben.

Leider werden nach meiner Beobachtung Fachgremien und Podien zu oft erst mit Expert:innen und dann (für die Quote und das Bild) noch mit einem jungen Menschen besetzt, der nicht immer einen direkten Bezug zum Thema haben muss. In meiner persönlichen Erfahrung wird gern noch versucht, andere Minderheiten gleich mit abzudecken. Dieses Vorgehen hat auch einen Namen: Tokenism. Den Begriff prägte die US-amerikanische Soziologin Rosabeth Moss Kanter. Die sogenannten Tokens werden nicht als Individuum gesehen, sondern als Repräsentant*in einer bestimmten Gruppe. Wenn beispielsweise an prominenten Stellen People of Color sitzen, kann eine Organisation das eigene Image deutlich diverser darstellen, als es tatsächlich ist. Und auf den Bildern großer kirchlicher Versammlungen werden gerne viele junge Menschen gezeigt – die allerdings als Stewards hinter den Kulissen verschwinden und in den Entscheidungsprozessen keinen Platz haben.

"Wer kompetent ist, soll auf dem Podium sitzen, zur Konferenz eingeladen werden oder den Artikel schreiben."

In meinen Ämtern wurden meine Kolleg:innen und ich oft für Panels zu Themen angefragt, mit denen wir uns nicht primär beschäftigen und zu denen wir keine überragende Kompetenz mitbringen – aber eine junge Stimme zum Thema fehlte gerade noch. Oder noch öfter landeten bei mir die Anfragen, junge Frauen, am besten aus dem Globalen Süden, für das Panel zu finden, es gäbe noch einen freien Platz, aber man hat bisher überwiegend weiße männlich und alt gelesene Menschen aus Nordwesteuropa eingeladen. Wie schwer es dann ist, kompetente Menschen zu finden, die gleichzeitig all diese Kriterien erfüllen, ist leicht zu verstehen.

Das Problem am Tokenism ist meiner Ansicht nach vor allen Dingen, dass durch diese Methode der gezielten Zurschaustellung von Diversität das Gefühl dafür verloren geht, was eigentlich Diversität ist und wie diese tatsächlich erreicht werden kann. Und für die Tokens ist es eine sehr ernüchternde Erfahrung, dass man zwar dabei sein darf, aber aus den falschen Gründen. Denn nicht immer lassen sich so Türen auch für andere Menschen öffnen und nicht immer kann man aus dieser instrumentalisierten Schein-Partizipation heraus wirksam etwas bewegen.

Ich hoffe, dass Kirche lernt, neu zu denken. Wer kompetent ist, soll auf dem Podium sitzen, zur Konferenz eingeladen werden oder den Artikel schreiben. Das bedeutet aus meiner Perspektive nicht, dass das Podium, die Zeitschrift oder die Konferenz noch homogener wird als bisher, sondern, dass viel früher überlegt wird, wer Kompetenzen und einzigartige Perspektiven mitbringt. Und dass dann automatisch Menschen einbezogen werden, die auch marginalisierten Gruppen angehören – die aber vor allem eins sind: nämlich gut.

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.