evangelisch.de: Herr Karimi, wo findet KI in der Religion überhaupt sinnvoll Anwendung?
Milad Karimi: Die KI betrifft allmählich alle Bereiche des Lebens. So sind auch Religionen, religiöse Praxis von der KI und Digitalisierung herausgefordert. Roboter können für Gottesdienste, Segnungen eingesetzt werden, während programmierte Systeme Seelsorge bieten und digitale religiöse Lesungen ermöglichen.
Wenn Roboter und digitale Systeme die menschliche Ansprache ersetzen, ist das für viele Menschen unangenehm. Was bedeutet es für Sie, wenn KI in der Religion Anwendung findet?
Karimi: Es gibt keine Religion ohne Menschen. Die KI greift nicht die Religion an, sondern vielmehr bewirkt sie eine Veränderung in der Art und Weise, wie Menschen ihre Religiosität leben.
Was heißt das genau?
Karimi: Religion lebt von Menschlichkeit, genauer von Zwischenmenschlichkeit. Menschen können Fehler begehen, sich bei einer Lesung versprechen, die falsche Seite aufschlagen, das nicht adäquate Gebet aufsagen, religiös fehlerhaft sein gegenüber der Grenzfragen, die uns nicht selten heimsuchen, schweigen müssen. Eine Pfarrerin, einen Priester, einen Imam als Menschen aufsuchen, um im Angesicht eines Menschen, der mich in meiner radikalen Bedingtheit und Endlichkeit versteht, meine religiösen, existentiellen und spirituellen Fragen zu formulieren, gehört zum religiösen Alltag. All das und vieles mehr wird durch die KI entmenschlicht. Wir reden von programmierten, das heißt einer vorgefertigten Vorschrift folgenden Technologien. Der Dialog zwischen Mensch und Mensch, die menschliche Begegnung wird durch eine funktionale, digitale, vorschriftsgemäße (eben programmierte) künstliche Kommunikation ersetzt. Nicht die fehlfreie Lesung aus der Heiligen Schrift, sondern der Mensch, der sie verlautbart, steht im Mittelpunkt. Und genau dies wird durch die KI in Frage gestellt. Der Fokus verschiebt sich von der menschlichen Erfahrung und Begegnung hin zu funktionalen, vorprogrammierten Technologien.
"Was wir nicht benötigen, ist eine Theologie, die sich darauf spezialisiert hat, wie eine Art Verwaltungsanstalt die religiösen Dogmen zu konservieren"
Genau dies ist doch die Grenze von KI? Sie entmenschlicht die religiöse Erfahrung. Welche Theologie benötigen wir heute, um mit der Realität und den Herausforderungen der KI adäquat umzugehen?
Karimi: Wir benötigen eine Theologie, die wachsam für die Gegenwart ist. Was wir, was die Mehrheitsgesellschaft, was die Menschen nicht benötigen, scheint mir eine Theologie zu sein, die sich darauf spezialisiert hat, wie eine Art Verwaltungsanstalt die religiösen Dogmen zu konservieren. Anders formuliert: Theologien sind bis dato analog konzipiert. Die Digitalisierung der Lebenswelt, dass wir uns unser Leben nicht ohne Internet und Smartphone vorstellen können, scheint theologisch nicht eingeholt zu sein.
Ich erwarte von einer Theologie, dass sie die Theologie ihrer Zeit sein soll. Sie muss nicht zeitgemäß sein, unterwürfig und bloß dem folgend, was ihre Zeit ihr vorschreibt, aber sehr wohl wachsam, kritisch und gestalterisch für ihre Zeit.
Konkret: Wir benötigen eine Theologie der Künstlichen Intelligenz, die sich grundsätzlich und nicht bloß partiell den Herausforderungen der KI stellt, weil die KI uns als Menschen angeht, somit auch das Subjekt der Religion anspricht.
Hier geht es nicht darum, die KI zu verteufeln, Angst und Schrecken zu predigen. Im Gegenteil: Die KI kann in vielen Bereichen des Lebens, wovon auch Religionen betroffen sind, bestens eingesetzt werden. Mir geht es um eine durchdachte KI-Entwicklung, die auf einer klaren Ethik beruht, Visionen verfolgt, die transparent sind, die der Veredlung des Menschen dienen, um ein Diktum von Schiller zu bemühen, und nicht der Überwindung des Menschseins. Es geht mir um eine Theologie, die sich selbst zur Frage wird – im Angesicht einer technologischen Entwicklung, die kaum zu überblicken ist.
Wie reagieren wir als Gesellschaft und Theologie auf die posthumanistische und transhumanistische Vision der KI?
Karimi: Die posthumanistischen und transhumanistischen Visionen, wenn man sie so vereinfachen will, wollen den Menschen entweder technologisch erweitern, das heißt perfektionieren, oder den Menschen ersetzen, überwinden, weil der Mensch und seine conditio humana nicht genügt, einer möglichen Zukunft zu gestalten, die Wesen benötigt, welche am besten reine Informationsträger sind. Theologisch gibt es inzwischen einzelne Stimmen, aber Theologie als Theologie scheint für die Debatte kaum eine Rolle zu spielen. Und genau das finde ich fatal. Denn ich verstehe die Theologie als eine menschlich-intelligente Tätigkeit, die nur dann ernsthaft sein kann, was sie soll, wenn sie für das Menschsein hadert, ethisch, vernünftig, freiheitstheoretisch, existentiell und spirituell.
Wie sieht die posthumanistische und transhumanistische Vision der KI aus?
Karimi: Die Vision besteht darin, den Menschen zu überwinden, eine Gesellschaft, eine Zukunft zu gestalten, in der der optimierte Mensch, der Übermensch, der Gottmensch, der leibliche, der sterbliche, der fehlbare Mensch überwunden ist, in der sich der Mensch zu einer konzentrischen Informationsquelle weiterentwickelt hat.
Was meinen Sie damit, dass die KI eine Art Techno-Religion vertritt?
Karimi: Es wäre kurzsichtig, zu meinen, wir kaufen bloß ein Smartphone, benutzen einfach eine Suchmaschine oder ChatGPT. Diese Technologien bieten zugleich eine eigene Spiritualität an. Sie sind Kultobjekte, die eine eigene Pflege, eine eigene Aura besitzen. Die KI soll nicht unser Leben bloß erleichtern, sondern uns erlösen. Dahinter steht der tiefe Glaube an Technologie, die eine überlegene Macht impliziert, welche eine eigene Faszination hat. Demnach gibt es auch eine gewisse eschatologische Dimension, wenn es um die KI geht. Hier ist der Glaube verankert, dass die KI eines Tages die Menschheit entweder retten oder zerstören wird. Die technologische Utopie erscheint dabei als eine Art Superzukunft, in der wir alle verwandelt sein werden, vollständig digitalisiert.