Schon der Begriff weckt Unbehagen: "Dunkelfeld" bezeichnet einen Bereich, der mangels konkreter Informationen statistisch nicht erfasst werden kann. Mit Dunkelfeldstudien versucht die Wissenschaft, Licht in diese Finsternis zu bringen. Eins der düstersten Forschungsergebnisse betrifft die sexuelle Gewalt, die sich auch hierzulande in weitaus größeren Dimensionen bewegt, als die offiziellen Angaben vermuten lassen. Dass die Dunkelziffer der Frauen, die Opfer von Sexualdelikten geworden sind, so viel höher ist, hat einen einfachen Grund: Nur die wenigsten sind bereit, jene zum Teil entwürdigende Prozedur über sich ergehen zu lassen, die auf eine Anzeige folgt. Selbst in juristischen Kreisen wird zudem davon abgeraten: Da sich die Tat in den meisten Fällen nicht beweisen lässt, steht vor Gericht Aussage gegen Aussage.
Vor diesem Hintergrund hat Ferdinand von Schirach einen Fall konstruiert, den der mehrfach mit allen wichtigen TV-Preisen ausgezeichnete Regisseur Matti Geschonneck (zuletzt "Die Wannseekonferenz", 2022) als fesselndes Gerichtsdrama umgesetzt hat. Formal orientiert sich die Inszenierung an den beiden von Lars Kraume für die ARD gedrehten Produktionen "Terror – Ihr Urteil" und "Gott" (2016/2020), die ebenfalls auf Vorlagen des juristischen Schriftstellers und Dramatikers basierten. Im einen Fall ging es um die Frage, ob es moralisch vertretbar sei, 164 Menschen zu töten, um 70.000 zu retten, im anderen debattiert der Ethikrat über die Frage, ob Ärzte aktive Sterbehilfe leisten dürfen. Auch "Sie sagt. Er sagt." spielt fast ausschließlich im Gerichtssaal.
Herzstück des Films ist die fast dreißig Filmminuten dauernde Befragung des Opfers durch die Richterin (Johanna Gastdorf): Katharina Schlüter, prominente TV-Moderatorin einer politischen Talkshow, bezichtigt Christian Thiede (Godehard Giese), Vorstandsvorsitzender eines Großkonzerns, sie vergewaltigt zu haben. Detailliert berichtet die Frau von der mehrjährigen Affäre mit dem ebenso wie sie verheirateten Mann, den heimlichen Treffen, den Lügen gegenüber der Familie. Irgendwann hätten sie gemeinsam beschlossen, die Beziehung zu beenden. Nach einer zufälligen Begegnung Wochen später landeten sie in seiner Wohnung, es kam zum zunächst einvernehmlichen Sex, aber dann habe sie den Akt beenden wollen, doch er habe einfach weitergemacht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Geschonnecks Gattin Ina Weisse trägt die Ausführungen äußerlich unbewegt vor. Katharina Schlüter hat sich schon von Berufs wegen zumindest in der Öffentlichkeit vollkommen unter Kontrolle. Ihr Auftreten signalisiert, dass sie kein Opfer sein will. Unter den Folgen des Vergehens leidet sie natürlich trotzdem: Ihr Grundvertrauen ist zerstört, weshalb sie in therapeutischer Behandlung ist, ihr Mann will die Scheidung. Mit ihrem Verhalten widerspricht sie allerdings dem gängigen Klischee, wie auch die Aussagen einer Polizistin (Bettina Lamprecht) belegen. Die Beamtin hat Zweifel an der Wahrhaftigkeit von Schlüters Schilderungen, was perfekt in die Strategie der Gegenseite passt: Verteidigerin Breslau (Henriette Confurius) will das Gericht überzeugen, dass die Trennung vom Angeklagten ausging und sich die gekränkte Moderatorin mit dem Vergewaltigungsvorwurf rächen wolle.
Da der Film chronologisch gedreht wurde, muss sich Godehard Giese gefühlt haben wie einst Günter Netzer, der 1973 im Pokalfinale erst zur Verlängerung auf den Platz durfte und prompt das Siegtor schoss: Thiede verfolgt den Prozess schweigend, spricht aber nach rund neunzig Filmminuten das Schlusswort. Sein bewegender Monolog lässt die bisherigen Ausführungen in gänzlich anderem Licht erscheinen.
Die Inszenierung ist stark reduziert, auf Musik wurde völlig verzichtet; der Film gehört ganz und gar den Mitwirkenden. Abgesehen von gelegentlichen Zwischenschnitten auf die Prozessbeteiligten bleibt die sanft bewegte Kamera (Theo Bierkens, seit Jahren Geschonnecks bevorzugter Bildgestalter) konsequent bei den Personen im Zeugenstand.
Dass der über hundert Minuten lang durchweg fesselnde Film dennoch kurzweilig und mitunter gar heiter ist, hat viel mit Matthias Brandt zu tun. Er spielt Schlüters Anwalt, der die "vermeintliche Verteidigerin" immer wieder unterbricht und die Schlussfolgerungen der jungen Kollegin, bei der es sich zudem um eine frühere Referendarin handelt, ins Lächerliche zieht. Mit Hilfe eines Croissants belegt er, dass die Polizistin bei ihrer Arbeit erheblich geschlampt hat. Ähnlich wie bei "Terror" und "Gott" nimmt Schirach dem Publikum trotzdem nicht das Denken ab; alle müssen sich eine eigene Meinung bilden. Im Anschluss (22.00 Uhr) zeigt das ZDF eine Dokumentation zum Thema.