Er gab dem Frust und der Wut junger Leute eine Stimme. "Warum geht ihr nicht einfach ein", brüllte Roger Daltrey in dem Song "My Generation" (1965) den Alten mit einem Stottern entgegen. Sie würden die Jugend klein halten und sie nicht ernst nehmen. Und dann die ikonische Zeile: "Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde." Am 1. März feiert der britische Sänger und Gründer von "The Who" den runden Geburtstag.
Daltrey ist einer der letzten großen Frontmänner des Rock. Seine Band "The Who" war - nach den Beatles, den Rolling Stones und den Kinks - die viertgrößte britische Rockband der wilden 1960er Jahre. Ihr erster und größter Hit "My Generation" beschrieb das Lebensgefühl der verstörten Nachkriegsgeneration und lieferte zugleich den Soundtrack für den ewigen Generationenkonflikt zwischen Alt und Jung. "Was für ein genialer Song", lobte sich Daltrey in einem Interview mit einem britischen Fernsehsender vor einiger Zeit selbst. Er sei auch heute und in Zukunft die Hymne aller Generationen, die sich erst ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen müssten.
Roger Daltrey kam 1944 in einem West-Londoner Arbeiterviertel zur Welt. Der aufmüpfige Teenager flog von der Schule, arbeitete als Metallarbeiter und wollte wie sein Idol Elvis Presley ein Rock'n'Roll-Star werden. 1959 gründete der Sänger mit den stechend blauen Augen seine erste Band. Die "Detours" spielten wie viele junge britische Gruppen zu dieser Zeit den amerikanischen Blues und Rock'n'Roll. 1961 und 1962 stiegen seine Schulfreunde John Entwistle (Bass) und Pete Townshend (Gitarre) in die Formation ein. Unter dem Namen "The High Numbers" wurde sie zu einer Kultband der "Mods", einer kurzlebigen Subkultur. Deren piekfein gekleidete Mitglieder brausten auf Motorrollern umher.
1964 stieg der durchgeknallte Schlagzeuger Keith Moon in die Band ein - die "Who" waren geboren. Ihren brachialen Lärm stilisierte das Quartett nun als selbstzerstörerischen "Art Rock": Auf der Bühne zelebrierten die Musiker das Chaos, zerschlugen ihre Instrumente. Daltrey schwang dazu sein Mikrofon wie ein Lasso in der Luft und fing es wieder auf. Der Kunststudent Pete Townshend war der kreative Kopf der Band. Der Gitarrist komponierte epische Songs, die sein labiles Seelenleben reflektierten.
"Thommy", die Rolle seines Lebens
Für eine ganze Reihe von Single-Hits lieferte Daltrey zwischen 1965 und 1968 seine raue Powerstimme - als Bandleader geriet er jedoch gegenüber Townshend ins Hintertreffen. "I can't explain", "Substitute", "The kids are alright" - und "My Generation": "The Who" waren top, doch Daltrey, der im Streit gerne die Fäuste einsetzte, drohte der Rauswurf.
In der Figur des "Tommy" fand er die Rolle seines Lebens, das gleichnamige Doppelalbum (1969) aus der Feder von Townshend wurde 1975 erfolgreich verfilmt. In dieser ersten Rockoper überhaupt schlüpfte der Sänger in die Rolle eines Jugendlichen, der nach einem Missbrauch taub, stumm und blind ist. Doch Tommy setzt sich gegen die gewalttätige Welt durch, wird als Flipperkönig ("Pinball Wizard") ein Jugendidol.
"Woodstock" machte ihn zur Ikone
Beim "Woodstock"-Festival im Jahr 1969 in den USA sang Daltrey Passagen aus "Tommy". Die Filmaufnahmen des blondlockigen Daltrey, der sich mit nackter Brust und Fransenjacke die Seele aus dem Leib singt, sind ikonisch. Daltrey wurde zum Urbild des charismatischen Rocksängers.
Seine stärkste Leistung präsentierte er 1971 auf dem "Who"-Album "Who's Next": Zeitlos sind Songs wie "Baba O'Riley", "Behind blue eyes" und "Won’t get fooled again". Der aggressive Gitarrenrock mit sozialkritischen Texten nahm auch die folgende Punk- und Hardrock-Welle vorweg.
Neben den "Who", die sich zwischen 1983 und 1999 auflösten, veröffentlichte Daltrey auch beachtliche Soloalben. Auf seinem letzten, "As long as I have you" (2018), ging er zurück zu seinen Wurzeln im Blues und Rock'n'Roll. Auch spielte er Nebenrollen in US-amerikanischen Fernseh-Serien. Karitativ engagiert sich Daltrey seit vielen Jahren für krebskranke Kinder.
Nach dem Drogentod von Keith Moon (1978) und John Entwistle (2002) nahmen die verbliebenen "The Who"-Urmitglieder Townshend und Daltrey mit Begleitmusikern weitere Alben auf. Und sie gehen bis heute auf Tour. Zuletzt spielten die Briten vergangenes Jahr mit dem Filmorchester Babelsberg auf der Berliner Waldbühne.
Seit mehr als 50 Jahren lebt Roger Daltrey ganz bodenständig mit seiner zweiten Ehefrau Heather auf seiner Farm außerhalb Londons. Anzeichen, dass er die große Bühne räumen könnte, gibt es nicht. Daltreys Stimme klingt erstaunlich frisch - und auch sein Mikrofon lässt er noch immer kreisen.