Anja Plaschg als Agnes in einer Szene aus dem Film "Des Teufels Bad"
Berlinale/dpa
Anja Plaschg als Agnes in einer Szene aus dem Film "Des Teufels Bad". Weitere christliche Filme auf der Berlinale stellt evangelisch.de vor.
Filmfestival in Berlin
Wie religiös ist die Berlinale?
Wer in Glauben und Gemeinde fest verwurzelt ist und das gerne auch so im Kino sehen würde, wird bei der Berlinale kaum fündig. Was das Filmfestival spiegelt: das Ringen mit religiösen Traditionen und die Sehnsucht nach spiritueller Erfahrung.

"Ich habe alles Schöne vergiftet mit meinen verrückten Gedanken", sagt Agnes in ihrer letzten Beichte, als alles schon zu spät ist. "Des Teufels Bad" heißt der österreichische Wettbewerbsfilm (Regie: Veronika Franz und Severin Fiala), er taucht ein ins bäuerliche Leben des 18. Jahrhunderts. Wer wie Agnes in den Zwängen dieser engen Welt nicht zurechtkommt, hat nicht mal Worte für das eigene Leiden. Verrückte Gedanken, gefangen sein im Bad des Teufels – so beschrieb die Zeit, was heute Depression heißen würde. 

Nach historischen Gerichtsakten zeigt der Film, wie eine tiefreligiöse junge Frau an der Enge ihrer Welt zerbricht. Am Leben liegt ihr irgendwann nichts mehr. Aber Selbstmord ist schlimmer als Mord, das predigt der Pfarrer von der Kanzel. Denn Selbstmörder sterben ohne Vergebung ihrer Sünden, auf sie kann nur die Hölle warten. In grauenhafter Konsequenz wird Agnes deshalb zur Mörderin – ein Weg, den in ihrer Zeit tatsächlich Hunderte von Frauen wählten. 

Etablierte Religion ist vor allem Instrument zum Machterhalt, diesen Gedanken verfolgen weitere Filme der Berlinale. So thematisiert der irische Eröffnungsfilm "Small Things like these" (Regie: Tim Mielants) die Ohnmacht eines Einzelnen gegenüber dem System der sogenannten Magdalenen-Wäschereien, in denen junge Frauen von Orden ausgebeutet und misshandelt wurden. 

Im Film "Kottukkaali-The Adamant Girl" von Vinothraj spielt Anna Ben mit.

Machtvolle Religion ist auch nicht aufs Christentum beschränkt. Der Film "Kottukkaali" spielt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Regisseur PS Vinothraj erzählt von der jungen Meena, die sich Heiratsplänen entziehen will. Eltern wie Schwiegereltern in spe haben dafür nur eine Deutung: Meena steht unter einem Liebeszauber. Zu ihrer Erleichterung gibt es feste Rituale, um eine solche angebliche Besessenheit zu beenden. Die Familien brechen also auf zum Schamanen, im Schlepptau die schweigende Meena und einen lebendigen Hahn, als Opfer. Der Film macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung dieser Rituale, die unter religiösem Deckmantel patriarchale Traditionen stärken. Immerhin: das Ende bleibt offen. Veränderung scheint möglich. 

Vielleicht kein Zufall, dass es jüdische Filme sind, die zu einem anderen Urteil über religiöse Traditionen kommen. "Between the Temples" (Regie: Nathan Silver) spielt in einer jüdischen Gemeinde im ländlichen US-Staat New York. Kantor Ben kämpft mit Lebens- und Glaubenskrisen – inszeniert ist das aber im Ton einer Komödie, nicht als Drama. 

Film "Holy Week" mit Nicoleta Lefter, Doru Bemund  Mario Gheorghe Dinu von Andrei Cohn.

Dramatischer spitzt "Holy Week" religiösen Fragen zu. Regisseur Andrei Cohn hat seinen Film im ländlichen Rumänien um 1900 angesiedelt. Juden und Christen teilen dasselbe Dorfleben, aber unter der Idylle schwelen Ausgrenzung, Ignoranz und Vorurteile. Gleich zu Beginn wird die schwangere Frau des Gastwirtes Leiba von einer johlenden Meute beim Viehmarkt in den Dreck gestoßen. Leiba selbst ringt danach um seine Haltung: Teil des Dorflebens sein, was für einen Gastwirt schon aus wirtschaftlichen Gründen unverzichtbar ist – oder doch auswandern nach Palästina, ins Land der Vorväter? Bevor eine Entscheidung fallen kann, spitzen sich die Konflikte in der titelgebenden heiligen Woche zwischen Pessach und Ostern zu. Der christliche Knecht sabotiert das koschere Schlachten, im Gasthaus schlägt die Stimmung um vom gemeinsamen Zechen zu offener Erpressung. Der rumänische Regisseur Andrei Cohn zeigt, wie das Gift des Antisemitismus langsam einsickert und dem jüdischen Gastwirt so lange vor Angst die Kehle zuschnürt, bis auch er sich nur noch mit Gewalt zu helfen weiß. Ein Historienfilm, der erschreckend aktuell ist.

Die Geister der Vergangenheit

Aber auch ganz gegenwärtige Filme ringen bei dieser Berlinale mit den Geistern der Vergangenheit. "The Fable" (Regie: Raam Reddy) erzählt von märchenhaften Wesen und der Sehnsucht nach Rückkehr in andere Welten – und thematisiert so das Erbe der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Im koreanischen Film "Pa-myo" (Regie: Jang Jae-hyun) tritt ein Team aus Schamanen, christlichem Beerdigungsunternehmer und Geomanten gegen Besessenheit und ganz reale Geister an. Auch diese Geistergeschichte führt in koloniale Vergangenheit, zur japanischen Herrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts. 

Einen ganz besonderen Ton für diese Auseinandersetzung findet der deutsche Film "Shahid". Regisseurin Narges Kalhor hat vor 15 Jahren in Deutschland Asyl gefunden. Ihre iranische Vergangenheit hängt an ihr durch ihren Namen: mit vollem Namen heißt die Regisseurin Narges Shahid Kalhor. Shahid, das bedeutet Märtyrer. Schon zu Schulzeiten sei sie damit auf Befremden gestoßen, erzählt die Regisseurin. Denn, so heißt es im Film: "Ein Shahid ist ein Märtyrer, jemand, der tot ist. Aber ich lebe noch." 

Baharak Abdolifard, Nima Nazarinia, Nina Wesemann, Zuki Izak Ringart, Alon Bracha, Ludger Lamers, Roman Singh spielen im Film "Shahid" von Narges Kalhor mit.

Narges Kalhor möchte diesen Namen endlich loswerden, der auch nach einem männlich-autoritären Gott klingt, mit dem sie nichts mehr zu tun haben will. Sie ringt um ihre Identität – und hat daraus einen schillernden, an Stellen unfassbar komischen, sehr überzeugenden Film gemacht. Eine Film-im-Film-Geschichte, an der nichts echt ist und die dahinter stehenden Erfahrungen umso authentischer.  

Lee Kang-sheng im Film "Wu Suo Zhu - Abiding Nowhere" von Tsai Ming-Liang.

Die Auseinandersetzung mit institutionalisierter Religion erzählen Filmschaffende also meist als Kampf. Wenn es ins Spirituelle geht, wird der Ton sanfter. Und es gibt Filme, bei denen das Filmschauen selbst zur Meditation ist. "Wu Suo Zhu" (Regie: Tsai Ming-Liang) verschafft so ein meditatives Kinoerlebnis. Ein Schauspieler in der weinroten Robe eines buddhistischen Mönches geht durch die US-amerikanische Hauptstadt Washington – so langsam wie möglich und ohne ein Wort zu sprechen, 90 Minuten lang. Ebenfalls in buddhistischer Tradition ist der Wettbewerbsfilm "Shambala" (Regie: Min Bahadur Bham) unterwegs. Er folgt einer jungen Frau auf ihrer spirituellen Suche im Himalaja. 

Noch radikaler von allen religiösen Wurzeln löst sich "The Human Hibernation" (Regie: Anna Cornudella Castro). Was wäre, wenn auch Menschen Winterschlaf machen, das ist die titelgebende Fragestellung dieses Filmes? Sie würden Teil der Tierwelt sein und traumähnlich durch den Zyklus der Jahreszeiten wandern. Der Film feiert diese Idee mit sparsamen Worten und traumhaft schönen Naturaufnahmen.