Andrea Wagenknecht: Wie gut passen Zen oder Zen-Buddhismus und christlicher Glaube zusammen?
Thomas Hartmann: Die zentrale Praxis des Zen-Buddhismus ist die Meditation. Zen ist ein Weg nach innen, der versucht, die reine Präsenz der Welt zu erfahren. Die Übung des Zen ist, die Achtsamkeit und das Gewahrsein zu schulen. Im reinen Zen ist die Frage nach Gott zwar irrelevant, dennoch lassen sich Elemente des Zen gut mit dem christlichen Glauben kombinieren – das zeige ich in meinem Buch. Zen und Jesus – das passt für mich zusammen. Jesu Worte sind nicht von gestern, sie geben uns auch heute Kraft im Alltag.
Für wen ist das Buch?
Hartmann: Es ist ein spirituelles Lesebuch, das man auch gut verschenken kann an Menschen, die ihre eigene Spiritualität und ihren Glauben vertiefen wollen oder an jemanden, der einfach einen tieferen Einblick von sich selbst und von Jesus erhalten will. Die Kapitel sind kurz, es gibt viele Zitate spiritueller Denker oder aus der Bibel. Fast immer gibt es Praxisübungen, die jeder umsetzen kann. Wer also einfach nur neugierig ist, kann mit dem Buch gut in eine spirituelle Praxis einsteigen.
Haben Sie alle Übungen selbst ausprobiert?
Hartmann: Ja. Viele praktiziere ich auch hin und wieder. Bis heute faszinieren mich die K?ans – das sind buddhistische Sinnsprüche. Sie sind mit der Vernunft nicht zu lösen. Das K?an zwingt einen, die Bahn des rationalen Denkens zu verlassen.
Ein Beispiel?
Hartmann: Etwa das "torlose Tor". An dem Bild kann sich der Verstand abarbeiten. In Michael Endes Buch "Die unendliche Geschichte" wird ein ähnliches Paradoxon beschrieben: Die beiden Helden der Geschichte müssen durch das "Ohne-Schlüssel-Tor" gehen, ohne sich das bewusst zu wünschen. Das Tor kann nur derjenige durchschreiten, der keinen Willen hat, es zu durchqueren. Das ist das Paradox, absichtslos etwas dennoch zu wollen. Wenn ich meditiere und dabei denke, dass es mir jetzt gelungen ist, nichts zu denken – dann ist es schon nicht gelungen.
Haben Sie solche Momente des Nicht-Denkens erlebt?
Hartmann: Ja. Ich habe solche Momente erlebt, das beschreibe ich auch im Buch, etwa Tätigkeiten, die man mit großer Achtsamkeit macht, also die man nicht einfach nur erledigt, sondern bei denen man komplett auf die Sache fokussiert ist. Man erlebt eine Art Überschreitung der Subjekt-Objekt-Beziehung.
Wie entstand Ihr Interesse für Zen?
Hartmann: Zen hat mich eigentlich immer begleitet, auch schon vor dem Theologiestudium. Mich haben die östlichen wie auch die christlichen Traditionen der Mystik und der Kontemplation fasziniert. Sehr prägend war für mich eine Meditationswoche in einem spirituellen Zentrum bei dem mittlerweile verstorbenen Willigis Jäger – den ich persönlich kennenlernen durfte. Willigis Jäger war Benediktiner und Zen-Meister, er gilt als ein bedeutender zeitgenössischer Wegbereiter einer religionsübergreifenden Spiritualität.
Meditation und Achtsamkeit liegen im Trend. Achtsamkeit wird häufig als Mittel zur Selbstoptimierung genutzt, um noch effizienter zu funktionieren.
Selbstoptimierung und Zen – das ist das komplette Gegenteil. Zen ist eine Selbst-Entwicklung. Der Kern ist ja gerade die Absichtslosigkeit. Auf diesen Aspekt lege ich in meinem Buch immer wieder den Nachdruck und hoffe, dass die Übungen und Zitate den Leser:innen auf diesem Weg helfen.
Hinweis: Thomas Hartmann liest aus seinem Buch am Montag, 15. Mai, 19 Uhr, in der Krypta der Wiesbadener Marktkirche (Eingang gegenüber Caligari, Marktplatz, 65183 Wiesbaden). Eintritt frei.