Die breit angelegte statistische Erhebung erfasst kirchliche, diakonische und jugendverbandliche Angebote in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Bereich der evangelischen Landeskirchen und ihrer Diakonie in Baden und Württemberg. Die Statistik schließt an die erste Erhebung "Jugend zählt" von 2013 an.
Basis der Studie sind erfasste Daten aus der Jugendarbeit zwischen 2021 und 2022, die trotz der Herausforderung der Corona-Zeit gesammelt werden konnten. Die Statistik liefert damit auch einen Einblick in die aktuellen, durch die Pandemie beeinflussten Entwicklungen der Jugendarbeit.
Die Projektleitenden Professor Dr. Wolfgang Ilg (Evangelische Hochschule Ludwigsburg), Pfarrer Cornelius Kuttler (Leiter des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg) und Kerstin Sommer (Evangelisches Kinder- und Jugendwerk Baden) ziehen ein positives Gesamtfazit: "Wir müssen wahrnehmen: Die Zahlen in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit gehen zurück. Corona war ein schwerer Einschnitt gerade für die außerschulischen Angebote. Die Jugendarbeit hat hier aber große Resilienz gezeigt und ihre Angebote danach wieder ausgebaut. So erleben Kinder und Jugendliche: Evangelische Kinder- und Jugendarbeit in all ihren Facetten ist ein Hoffnungsort für junge Menschen." Es zeige sich, so resümieren sie weiter, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Kirche, Jugendverbänden und Diakonie lebendig sei, dass sich junge Menschen ehrenamtlich engagieren und Kinder und Jugendliche gestärkt und ermutigt werden können.
Wertvoller Beitrag der Kirche
Insgesamt nehmen rund 159.000 junge Menschen wöchentlich an regelmäßigen Gruppenangeboten der evangelischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in all ihren unterschiedlichen Facetten von der Jungschar über Kindergottesdienst bis hin zu musikalischen Angeboten teil, weitere 280.000 Teilnahmen pro Jahr werden bei Einzelangeboten wie Freizeiten, Waldheimen oder Bildungsseminaren verzeichnet. Dazu kommen noch einmal über 85.000 junge Menschen im Bereich der Diakonie. Ein Video zeigt die Vielfalt anschaulich.
Sozialminister Manne Lucha betonte bei der Präsentation von "Jugend zählt 2": "Es sind solche Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, die einen unschätzbaren Beitrag für ein Heranwachsen von jungen Menschen zu selbstbestimmten und sozial verantwortlichen Bürgerinnen und Bürgern leisten."
Die Mehrheit arbeitet ehrenamtlich
57.714 Personen sind in (mindestens) einem der Arbeitsfelder der kirchlichen Arbeit für junge Menschen aktiv. Bei 93% davon handelt es sich um Ehrenamtliche. Allein in Jungschar- und Kindergruppen werden wöchentlich über 33.000 Kinder von über 10.000 zumeist ehrenamtlich Mitarbeitenden begleitet. Zentrale Einzelangebote in der Kinder-und Jugendarbeit sind Freizeiten mit jährlich mehr als 56.000 Teilnahmen mit Übernachtung und 34.000 Teilnahmen ohne Übernachtung. Außerdem waren zum Stichtag 31.12.2021 insgesamt 2.837 Freiwilligendienstleistende (BFD, FSJ usw.) bei kirchlichen und diakonischen Trägern in Baden und Württemberg im Einsatz. Die mit Abstand größten Träger für Freiwilligendienste sind die Diakonischen Werke in Baden und Württemberg.
Hohes Engagement von jungen Ehrenamtlichen
Zwei Drittel der Engagierten sind selbst noch Jugendliche oder junge Erwachsene. Sie entwickeln in ihrer Arbeit Ideen, gestalten selbstständig Projekte und übernehmen Verantwortung. Junge Erwachsene stellen die größte Altersgruppe unter den Mitarbeitenden dar. Dies, so die Projektleitenden, sei umso erstaunlicher, als junge Erwachsene sonst nur schwer durch kirchliche Angebote erreicht werden. Die Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Engagement habe ihre Wurzeln in positiven biografischen Erfahrungen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit.
19,1% aller evangelischen Kinder und Jugendlichen im Schulalter nehmen regelmäßig an einer Gruppe der kirchlichen oder jugendverbandlichen Kinder- und Jugendarbeit teil. Hinzu kommen Einzelangebote wie Freizeiten, Kinderbibelwochen oder Sportveranstaltungen. Bei der letzten Erhebung vor 9 Jahren lag diese Quote noch bei 22%. Der Rückgang, so die Projektbeteiligten dürfte vor allem coronabedingt sein. Das Angebot der Konfirmandenarbeit nehmen 80% der 13- und 14-jährigen Evangelischen wahr.
"Jugend zählt 2" fällt in eine Phase der kirchlichen und gesellschaftlichen Krisen. Zugleich konnte die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die im November 2023 veröffentlicht wurde, zeigen, dass Angebote wie Konfirmation, Kindergottesdienst und Jugendarbeit eine große Reichweite aufweisen und eine hohe Prägekraft für die religiöse Orientierung über die ganze Lebensspanne hinweg haben.
Hohe Betreuungsquote
Die evangelische Kirche erreicht keine andere Altersgruppe so gut wie Kinder und Jugendliche. Die hohe Zahl überwiegend ehrenamtlich engagierter Menschen zeichnet diese Arbeit aus. Umgerechnet auf die Kirchengemeinden entspricht das. nach Berechnungen der Statiskiker, durchschnittlich 26 engagierten Personen pro Gemeinde in Baden bzw. 38 in Württemberg. In den meisten Gruppen und Angeboten kommen lediglich 3 Teilnehmende auf einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin. Der hohe Betreuungsschlüssel biete die Voraussetzungen für umfassende pädagogische Qualität, beschreiben es die Projektleitenden. Der bewusste Umgang mit Nähe und Distanz sowie verpflichtende Präventionsschulungen im Blick auf sexualisierte Gewalt in allen Bereichen der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei seit vielen Jahren selbstverständlich.
Erstmals dabei: diakonischen Angebote der Kinder-, Jugend und Behindertenhilfe
In der Jugendhilfe sind in Baden und Württemberg 4.516 Mitarbeitende tätig und in der Behindertenhilfe 1.331 Fach- und Hilfskräfte. Viele von ihnen haben Teilzeitaufträge. Die erstmalige Einbindung der Erhebung von Angeboten der Diakonie für Kinder und Jugendliche zeigt, dass Kirche, Jugendverbände und Diakonie zusammengehören und sich ergänzen. Nach Einschätzung von Cornelius Kuttler brauche es in Zeiten einer sich zunehmend aufspaltenden Gesellschaft, in der Zusammenhalt und soziales Miteinander schwieriger werden, einen gemeinsamen Blick auf junge Menschen von Kirche und ihrer Diakonie und von evangelischer Jugendarbeit in ihren vielfältigen Formen. Notwendig sei eine starke Vernetzung kirchlichen und diakonischen Handelns (z. B. Konfi-Arbeit) und evangelischer Jugendarbeit. Ziel sei es, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zu begleiten, sie im Sinn einer Persönlichkeitsbildung zu stärken und sie zu befähigen, den gesellschaftlichen Diskurs positiv mitzugestalten. Vor diesem Hintergrund gelte es, besonderes Augenmerk auf den Ausbau inklusiver Angebote zu legen.
Arbeit großteils ohne öffentliche Förderung
Zwei Drittel aller Maßnahmen finden ohne öffentliche Förderung statt
Erstmals wurde in "Jugend zählt 2" detailliert für jede Einzelaktivität abgefragt, ob und auf welche Weise sie finanziell gefördert wird. Dabei gibt es lediglich drei Bereiche, in denen mehr als die Hälfte der Angebote eine öffentliche Förderung erhält: Bildungsmaßnahmen, Freizeiten (sowohl mit als auch ohne Übernachtung) und schulbezogene Aktionen. Bei allen anderen Arbeitsbereichen finden mehr als zwei Drittel aller Maßnahmen ohne jede öffentliche Förderung statt. Dies gilt in besonderer Weise für die regelmäßigen Gruppen, von denen lediglich 15% von Kommunen oder Land finanziell unterstützt werden. Das Kriterium der öffentlichen Förderung bildet die Grundlage dafür, dass Aktivitäten in der amtlichen Statistik zur Kinder- und Jugendarbeit bundesweit erfasst werden. Wie "Jugend zählt 2" nun aufzeigt, werden 85% der Gruppenangebote nicht gefördert – und erscheinen darum nicht in der offiziellen Jugendarbeitsstatistik. Insofern bietet die Studie aus Sicht der Projektleitung auch eine wichtige "Dunkelfeldanalyse" der Jugendarbeit – zumindest im Bereich der evangelischen Kirchen und Jugendverbände, die an vielen Stellen mangels einer Erhebung kaum wahrgenommen wird.
Kerstin Sommer hebt hervor: "Angesichts der Bedeutsamkeit der regelmäßigen Gruppenarbeit sollte deren finanzielle Förderung als zusätzliche Säule neben den vielfältigen Projektförderungen etabliert werden, um diesen wichtigen Teil der Zivilgesellschaft vital zu halten."
Träger der Studie sind die Evangelische Landeskirche in Württemberg und die Evangelische Landeskirche in Baden. An der Durchführung sind beteiligt das Evangelische Jugendwerk in Württemberg (EJW), die Evangelische Jugend in Baden (EJUBA), 12 Jugendverbände sowie die Diakonie in Baden und Württemberg. Die wissenschaftliche Verantwortung liegt bei der Forschungsgruppe Jugendarbeit der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg.