Auf der Homepage der Ehe-, Familien- und Partnerschaftsberatung Karlsruhe hat Lotte Paepke (1910-2000) einen Ehrenplatz. Die Jüdin, die dank ihrer Mischehe den Holocaust überlebte, war in den 1950er Jahren die erste Beraterin der Einrichtung. Es war die Zeit der sogenannten Trümmerfrauen.
Während die Männer im Krieg oder in Gefangenschaft waren, sorgten die Frauen für ihre Familien und bauten das Leben in dem zerstörten Land wieder auf. "Bei der Rückkehr der Männer kam es zu vielen Spannungen in den Familien", erklärt die Leiterin der Einrichtung, Barbara Fank-Landkammer, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.
Unterstützung fanden sich fremd gewordene Paare in der Beratung bei der studierten Juristin, Lotte Paepke. In Kindergärten, ohne eigene Räume, suchte sie nach Feierabend gegenseitiges Verständnis zu wecken. Die Idee für vorgelagerte Gespräche vor einer Scheidung hatte eine Freundin Paepkes, die Rechtsanwältin Alice Haidinger, aus Hamburg mit nach Karlsruhe gebracht. Scheidungen waren seinerzeit noch an die Feststellung der "Schuld" geknüpft. Nach jahrelanger Trennung von der Familie und dem Partner durch Krieg oder Gefangenschaft war schwerlich auszumachen, welcher der Partner für das Scheitern der Ehe verantwortlich war. "Das war unsäglich in den Gerichtssälen", betont Fank-Landkammer.
In dem Buch "Lotte Paepke. Als Jüdin im Nachkriegsdeutschland", das im Freiburger 8 grad verlag erschienen ist, skizziert Gisela Hack-Molitor (Marbach) das Leben und Wirken Lotte Paepkes. Es beschreibt die Kindheit und Jugend von Lotte in Freiburg, ihre Liebe zur Natur und den Bergen. Es berichtet vom Überleben in der Mischehe, von Flucht und Unterschlupf vor den Nazis.
Weiter zeigt die Autorin Paepkes Wirken in den Nachkriegsjahren auf, die Tätigkeit in der Karlsruher Beratungsstelle sowie als Rundfunkautorin beim Südwestfunk. "Ich habe gemerkt, das ist eine ganz eigene Stimme", berichtet Hack-Molitor über ihre Erfahrungen während ihrer Arbeit an dem Buch. Paepke sei eine "Mahnerin" gewesen, die trotz Depression wieder aufgestanden sei.
Als Eheberaterin habe sie auch Nazis beraten. "Sie ist bei der Beratungstätigkeit über ihren Schatten gesprungen", betonte Gisela Hack-Molitor. Ihr eigenes Leid lehrte die Jüdin Menschenkenntnis.
Paepke, die sich im Rundfunk, in der Beratungsstelle und später auch als Autorin mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft befasste, scheute die Öffentlichkeit. Über sie als Person erfuhren nur sehr nahestehende Menschen mehr. "Sie wollte nichts von ihrer Geschichte erzählen", weiß Hack-Molitor. Die Skepsis gegenüber Altersgenossen sei ihr zeitlebens geblieben. Die Scham als Jüdin minderwertig zu sein, wie es der Nationalsozialismus propagierte, habe Paepke begleitet. Aus Gesprächen mit ihren Nachfahren weiß Hack-Molitor, dass sie ihren jüngeren Kindern nicht sagte, dass sie Jüdin war.
Um zu überleben, hatte Paepke gelernt, sich kleinzumachen. Sie analysierte, hielt Distanz und blieb bei aller Klarheit und Aufrichtigkeit skeptisch. Sie habe immer das Gefühl gehabt, "dass sie anders war". Auch in ihrer Heimat bei Freiburg habe sie sich fremd gefühlt. Allein auf einer Reise nach Israel und in die USA sei sie als Jüdin angekommen, so die Recherche Hack-Molitors.
Bis heute wird Paepke weitgehend "übersehen". Auf dem Gelände des unweit von Freiburg gelegenen ehemaligen Klosters Stegen erinnert ein Stolperstein daran, dass die spätere Hebel-Preisträgerin Lotte Paepke hier von 1943 bis 1945 versteckt und geschützt wurde. Die Bücher, die Paepke schrieb, gibt es nur noch antiquarisch. Ihre Rundfunkbeiträge lagern im Archiv.
In Karlsruhe, wo sie bis zu ihrem Tod in einem Heim lebte, erinnert immerhin die Website der Ehe-, Familien- und Partnerschaftsberatung an die Pionierin. Vielleicht aber war Lotte Paepke, wie Hack-Molitor meint, für die große Anerkennung einfach "zu ehrlich".