Wenn der Theologe Karl Heim eine Vorlesung hielt, dann war der Saal meist überfüllt - und das, obwohl er bereits im größten Hörsaal sprach. Bis zu tausend Studenten, - darunter auch Hörer anderer Fakultäten - kamen, um den Professor für Systematische Theologie an der Universität Tübingen zu hören. Sie "suchten nicht nur den großen Lehrer, der selbst das Schwierigste in fast journalistischer Lockerheit darzubieten wusste, sondern auch den Seelsorger, der den Nerv all jener Probleme traf, die seine Zeitgenossen bewegten" schrieb der Theologe Helmut Thielicke (1908 - 1986) in seinen Erinnerungen.
In einer Zeit, in der moderne materialistische Weltanschauungen zunahmen und für einen Glauben an Gott kein Platz mehr zu sein schien, ging es Heim darum, "den christlichen Glauben so zu kommunizieren, dass sowohl Pfarrer als auch Lehrer eine argumentative Grundlage in der Auseinandersetzung mit dem modernen Denken hatten", sagt Heim-Experte Rolf Hille (Heilbronn). Heim habe sich als Seelsorger gesehen und wollte die Intellektuellen ansprechen, die sich von der Kirche wegen ihrer Zweifel entfremdet hatten.
Einsteins Relativitätstheorie als Türöffner
Ohne Berührungsängste beschäftigte der Theologe sich deshalb schon früh mit Einsteins Relativitätstheorie und der Quantenphysik Max Plancks. Diese waren für ihn wie ein Türöffner zu einem neuen Verhältnis von Wissenschaft und Glaube: "Denn das Naturbild des 19. Jahrhunderts, das die Denkmöglichkeit Gottes geleugnet hatte, wird durch den Fortschritt der Forschung im 20. Jahrhundert seinerseits negiert und eröffnet dadurch eine neue Freiheit im Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube", schreibt Hille, der über Heim promoviert hat, in einem Lexikonartikel.
Karl Heim ist für den deutschsprachigen Bereich "eine der wichtigsten Gründerfiguren des Dialogs zwischen Theologie und den Naturwissenschaften", sagt Markus Mühling, erster Vorsitzender der Karl-Heim-Gesellschaft (Wuppertal) dem epd. Heim habe hohe wissenschaftlicher Redlichkeit mit bewusster christlicher Frömmigkeit verbunden.
Missionsarzt löste radikalen Neuanfang aus
Am 20. Januar 1874 wurde Heim im Klosterdorf Frauenzimmern (Landkreis Heilbronn) in einem Pfarrhaus geboren. Sein Großvater väterlicherseits war der pietistisch geprägte Friedrich Jakob Philipp Heim, Begründer der heutigen Paulinenpflege in Winnenden. Karl Heim studierte als Stipendiat am Evangelischen Stift in Tübingen Theologie und kam in dieser Zeit bei einer Konferenz der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung in Kontakt mit dem englischen Missionsarzt Hudson Taylor, dem Begründer der China-Inland-Mission und dem Erweckungsprediger Elias Schrenk, bei dem er nach einem Gespräch einen "radikalen Neuanfang" im Glauben machte, wie er selbst schrieb.
Einer ist immer geblieben: Gott
Nach seinem Vikariat wurde Heim Reisesekretär bei der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung. In dieser Zeit hielt er an vielen deutschen Hochschulen Vorträge, bevor er wieder an die Universität ging, wo er sich in Halle habilitierte und eine kurze Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs an der Universität Münster lehrte. 1920 wurde er nach Tübingen berufen, wo er 1939 emeritiert wurde. Bis 1948 war er Prediger in der Tübinger Stiftskirche, zehn Jahre später, am 30. August 1958, starb er in Tübingen.
"Die Technik hat das Gesicht der Erde verwandelt. Vom Naturbild unserer Vorfahren ist kein Stein auf dem andern geblieben. Aber mitten in diesem Wandel ist Einer durch alle Jahrzehnte hindurch derselbe geblieben", zitiert die Karl-Heim-Gesellschaft den Theologen. Diese Aussage und ihr damit verbundener tiefer Glaube an Gott steht sinnbildlich für das Leben des schwäbischen Hochschullehrers.