Auf die Begegnung hat sich Jan Thomas Otte gut vorbereitet. Der Theologe aus Konstanz am Bodensee trägt einen Kapuzenpulli, auf dessen Brustseite heftig wogende blaue Wellen zu sehen sind. Auf den Wogen schwimmt ein zierliches Papierschiffchen, es tanzt mehr, als dass es über das Wasser zieht. Der Pulli mit der so symbolischen Darstellung soll für die evangelische Kirche und auch für Otte selbst stehen. Das Schiff ist die Gemeinde, die durch die Stürme der Zeit schlingert. Der Griff in den Kleiderschrank war bewusst.
Otte weiß, wovon er spricht. Jahrelang arbeitete er als evangelischer Gemeindepfarrer in Konstanz. Nun hat der Theologe einen Schlussstrich gezogen und das Gemeindeamt aufgegeben. "Vor 100 Tagen stand ich zum letzten Mal am Altar", sagt er. Verabschiedet wurde der beliebte Pastor vom Dekan und der Gemeinde der Petrus- und Paulus-Gemeinde. Sie ließen ihn ziehen, weil sich sein Entschluss schon lange angebahnt hatte - und sich zuvor nur wenige für seine Lage interessierten.
Eigentlich, so bekam er gelegentlich zu hören, könne er doch zufrieden sein. Als junger Pfarrer direkt in Konstanz, dazu eine Familie mit drei Kindern. Doch das Bild des gelungenen Lebens war nicht stimmig. "Die Kirche verwaltet sich zu Tode", ist Jan Otte überzeugt. Gremien, Sitzungen, Verordnungen - der 40-Jährige fühlte sich für alles verantwortlich und überfordert. Er hatte immer weniger Zeit für die Kernaufgaben: Predigen, Kasualien sowie seinen Podcast "Ottes Wort."
Dabei habe er immer wieder um Hilfe gerufen und in Briefen an die Kirchenleitung in Karlsruhe Veränderungen angemahnt, sagt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Ich fühlte mich alleingelassen." Da die interne Resonanz ausblieb, wandte sich der quirlige Pastor an die Öffentlichkeit. Für die lokale Zeitung "Südkurier" verfasste er ein persönliches Bekenntnis unter der Überschrift "Abschied von einem Lebenstraum". Das Echo war diesmal gewaltig. Kollegen ermahnten ihn und fragten, warum er das öffentlich sagen müsse. Er schade seiner Kirche, hieß es in E-Mails. Er genieße doch weiterhin deren Sicherheit, indem er übergangslos in den Schuldienst gewechselt sei.
Heute unterrichtet Otte an zwei Konstanzer Schulen Religion. Der Mann weiß, dass auch das anstrengend sein kann. Natürlich bleibe er weiterhin Christ. Otte sieht sich als tiefgläubigen Menschen. Nicht an Gott sei seine Berufung gescheitert, sondern an den Menschen, erläutert er. Gesundheitlich sei er auf eine Wand zugelaufen. Er fürchtete den Burn-out. Auch das war ein Grund, die Leitung der Gemeinde niederzulegen.
Seine Kritik an der Leitung der Landeskirche hat er in einem Thesenpapier zusammengefasst. Zentraler Punkt darin: Die Ausbildung von jungen Menschen für die Gemeindeleitung sei nicht mehr zeitgemäß. "Junge Pfarrer und Pfarrerinnen werden nicht vorbereitet", schreibt er. Kaum in der Gemeinde angekommen, würden sie ausgebeutet und ihre Freiräume verengten sich, findet er. Sie könnten kaum neue, moderne Formate wie Podcasts oder anderes ausprobieren.
Otte hadert mit dem klassischen Bild des Pastors als einer öffentlichen Person. "Alles wird kommentiert in der und von der Gemeinde." Das wollte er nicht länger. Als er noch in Amt und Würden war, wohnte er bewusst nicht im Pfarrhaus. Im neuen Job sei es leichter, in der Menge unterzutauchen: Netzwerken statt Kanzelrede. Ohne Schnörkel sagt er: "Wir sind doch keine Halbgötter im Talar."