Manchmal schlug ihr Wut entgegen, oft spürte sie Entfremdung, meistens ging es schlicht ums Geld: Als Mitarbeiterin in der Kirchenaustrittsstelle der Bremischen Evangelischen Kirche hat Anke Oetke schon viel erlebt. Gelegentlich flossen auch Tränen, erinnert sich die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin, die seit Februar 1979 bei der Kirche arbeitet. "Ich hatte immer Taschentücher parat", sagt die 64-Jährige, die jetzt in den Ruhestand geht. Gleichgültig war es ihr nie, was ihr in ihrem emotional fordernden Job begegnet ist: "Mir hat jeder Kirchenaustritt weh getan, das war jedes Mal wie ein Stich."
Wer in Deutschland aus der Kirche austreten will, tut das in der Regel beim Standesamt. Bundesweit einzigartig ist der Weg über kirchliche Austrittsstellen, die es nur in Bremen gibt, sowohl bei der evangelischen wie auch bei der katholischen Kirche. "Da wollte ich eigentlich nie arbeiten", sagt Anke Oetke, für die ein freundlicher Umgangston in einer schwierigen Situation zur Leitlinie professioneller Arbeit gehört.
Irgendwie ist es dann doch dazu gekommen. Zuvor allerdings begann sie als Beschäftigte der Kirchenverwaltung in der "Abteilung Kartei". Sie hat die persönlichen Daten der Mitglieder gepflegt und ergänzt, etwa bei Taufen, Trauungen und Bestattungen. "Alles noch per Formular. Computer hatten wir noch nicht, dafür lange Listen auf Endlospapier", blickt sie zurück.
Es war die Zeit, als noch mehr als 70 Prozent und weit mehr als 380.000 aller Bremerinnen und Bremer zur evangelischen Kirche gehörten. Heute sind es bei rund 160.000 Mitgliedern knapp 30 Prozent. Wobei längst nicht jeder Verlust mit einem Austritt zu tun hat. Bundesweit führen auch demografische Prozesse dazu, dass die Mitgliederzahlen der Kirchen sinken.
Anke Oetke erinnert sich an eine ältere Frau, die monatlich 1.30 Euro Kirchensteuern gezahlt hat - mit knapper Rente aber jeden Cent zusammenhalten musste und deshalb austrat. Oder an jene, die sich nach einer Ehescheidung für diesen Schritt entschieden. Andere sprachen von Konflikten mit Pastorinnen und Pastoren, beispielsweise bei der Beerdigung. Oder fanden es ungerecht, dass sie keinen kirchlichen Kita-Platz für ihr Kind bekommen haben. Nach dem Motto: Wozu bezahle ich eigentlich Kirchensteuern?
Wieder andere sagten, sie könnten auch ohne Kirche glauben. Manchmal - selten - sagten die Austrittswilligen bei der finalen Unterschrift, das fühle sich gerade nicht gut an. "Dann habe ich gesagt: Lassen Sie sich ein paar Tage Bedenkzeit. Wenn sie sich dann anders entscheiden, kann der Austritt auch wieder zurückgenommen werden." Und auch das hat es gegeben: Vor zwei Jahren erschien ein junger Mann mit dem festen Vorsatz, das Kapitel Kirche abzuschließen. "Vor meiner Tür hat er es sich anders überlegt und wollte reden."
Einschnitte und Skandale wie die Einführung des Kirchgeldes in glaubensverschiedener Ehe und sexualisierte Gewalt in den Kirchen haben vermehrt zu Austritten geführt, das konnte Anke Oetke schon an der Länge der Schlange vor ihrer Tür sehen. Auch Äußerungen des umstrittenen Bremer Pastors Olaf Latzel und die Unterstützung der evangelischen Kirche für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer waren Auslöser dafür, der Kirche den Rücken zu kehren.
Welcher Grund auch angesprochen wurde, die Arbeit in der Austrittsstelle war für die kirchlich verbundene Frau durchaus belastend. "Das haben wir im Gespräch unter den Kolleginnen der Abteilung aufgefangen. Das muss raus und aufgearbeitet werden, manchmal auch über eine begleitende Supervision", betont Anke Oetke.
Doch trotz Kritik an der Kirche, Wut und Vorwürfen - immer war es ihr wichtig, Haltung zu bewahren, "den Menschen in die Augen zu schauen". Und was für sie gar nicht ging: "Ein schlechtes Gewissen machen." Patzig oder mit sauertöpfischem Gesicht auf den Kirchenaustritt zu reagieren, das wäre für Anke Oetke undenkbar gewesen. "Ich bin vielleicht das letzte Gesicht der Kirche, das die Menschen sehen, die zu mir kommen. Das sollte positiv in Erinnerung bleiben."
Immer wieder sei ihr deutlich geworden, wie wenig über Beratungs- und Seelsorgeangebote der Kirchen bekannt sei, "über das, was die Kirche für die Gesellschaft tut". Für Anke Oetke ist klar, dass die Kirche Halt gibt. "Und die Menschen brauchen Halt und Hilfe." Deshalb sei es ihr wichtig gewesen, am Ende des Gespräches zu signalisieren: "Die Kirche hält ihre Türen offen. Sie können zurückkommen."
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