Mit einem Appell zum gesellschaftlichen Zusammenhalt ist am Sonntag in Berlin der Gemeindetag des Zentralrates der Juden zu Ende gegangen. Zentralratspräsident Josef Schuster erklärte bei der Verabschiedung der mehr als 1.400 Teilnehmer aus ganz Deutschland, die jüdische Gemeinschaft werde sich angesichts des deutlichen Anstiegs antisemitischer Vorfälle nicht unterkriegen und bei Seite schieben lassen: "Wir begegnen dem Hass, den wir auf den Straßen sehen, an den Universitäten, ja in der Mitte der Gesellschaft, mit Mut und Zusammenhalt."
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Samstagabend bei einer Rede auf dem Gemeindetag versichert: "Wir schützen die jüdischen Gemeinden." Deutschland bekämpfe jede Form von Antisemitismus, Terrorpropaganda und Menschenfeindlichkeit.
Für ein Zusammenleben in Solidarität sei aber mehr nötig als das Strafrecht, die Polizei und die Justiz, sagte Scholz. Um "dem Mangel an Empathie" gegenüber Jüdinnen und Juden entgegenzutreten, sei Bildung ein Schlüssel. "Dabei geht es zuallererst um die Erinnerung an das von Deutschen begangene Menschheitsverbrechen der Schoah", sagte der Kanzler. Die Erinnerung daran müsse "ganz zentral in den Bildungseinrichtungen unseres Landes wachgehalten werden". Neben der Vermittlung von Fakten gehe es "um die Vermittlung der Verantwortung, die sich aus unserer Geschichte ergibt".
Keine Toleranz mit Gegnern der offenen Gesellschaft
Schuster bezeichnete den Besuch des Kanzlers auf dem Gemeindetag als Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft, gerade nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und den antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland, auch durch Menschen mit arabischem Migrationshintergrund. Dabei warnte Schuster vor einer Spaltung der Gesellschaft: "Wir Juden treten ein für eine offene Gesellschaft." Es gebe kein "Wir" und kein "die da". In einer offenen und freien Gesellschaft dürfe es aber auch keine falsche Toleranz mit den Verächtern und Gegnern dieser Gesellschaft geben, sagte Schuster.
Zum Abschluss des Gemeindetages vereinbarten die jüdischen Dachorganisationen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz eine engere Zusammenarbeit. Der am Sonntag unterzeichnete Freundschaftsvertrag sieht unter anderem eine grenzüberschreitende Koordination zur Förderung jüdischen Lebens und im Kampf gegen Antisemitismus vor. Festgeschrieben sei auch die entschiedene Haltung aller Gemeinden, keine Kontakte mit rechtsextremen Parteien wie der AFD oder FPÖ zu unterhalten. Neben dem Zentralrat haben die Israelitische Religionsgesellschaft Österreich und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund den Vertrag unterzeichnet.
Auf dem Programm des am vergangenen Donnerstag eröffneten Gemeindetags standen mehr als 60 Podiumsdiskussionen und Lesungen sowie Veranstaltungen zur jüdischen Religion. Zu den Gästen zählten auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU). Der in der Regel alle drei Jahre stattfindende Gemeindetag stand unter dem Leitgedanken "Zusammen leben".