Der Knopf am Kragen will nicht richtig zugehen. Vikar Jannis Kaiser schaut in der Sakristei der Bergkirche in den Spiegel und zieht am Halskragen. Jetzt sitzt der Knopf richtig. Er streicht den schwarzen Stoff des Talars glatt, richtet sich das Beffchen, das rechteckige weiße Leinenstück am Halsausschnitt, und schaut an sich selbst herunter: "Das fühlt sich noch sehr ungewohnt an", sagt er. Den geliehenen Talar hat er erst wenige Male angehabt, sein eigener wird gerade maßangefertigt.
Jannis Kaiser ist seit September evangelischer Vikar in der Berg- und der Marktkirchengemeinde in Wiesbaden. Das Vikariat ist die zweijährige praktische Ausbildung zum Pfarrer: Gottesdienste feiern, predigen, Religionsunterricht, Jugend- und Seniorenarbeit, Seelsorge, Verwaltung – überall arbeitet er mit, übt und lernt.
Zum ersten Mal erlebt der 31-Jährige in dieser Rolle jetzt Weihnachten. Zwei Gottesdienste gestaltet er mit Lehrpfarrer Helmut Peters: An Heiligabend übernimmt er die Liturgie in der Christmette der Bergkirche (24 Uhr) und am zweiten Weihnachtsfeiertag predigt er um 10 Uhr in der Marktkirche.
"Umso näher der Heiligabend rückt, umso aufgeregter werde ich", sagt Kaiser. Obwohl Weihnachten eigentlich so vertraut ist, fühlt sich dieses Jahr für ihn alles anders an: Wann dreht man sich wie zum Altar? Wo geht die kleine Lampe auf der Kanzel der Marktkirche an und wie spricht es sich überhaupt in einem so riesigen Kirchenraum? Da für Jannis Kaiser alles neu ist, probt er: "Helmut Peters und ich gehen den Gottesdienstablauf in beiden Kirchen genau durch. Ich gehe zur Kanzel hoch, probiere die Mikrofone und schaue, wo ich gehen und stehen muss. Ich möchte ausprobieren, ob ich in der Marktkirche zu schnell, zu laut oder leise spreche. Die Akustik ist da nicht so einfach."
Gottesdienst will gelernt sein
Jannis Kaiser ist in Darmstadt und Gießen aufgewachsen und hat in Marburg und Mainz Theologie studiert. Religiös geprägt hat ihn die Jugendarbeit des CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen): "Ferienfreizeiten, Erlebnispädagogik, Sport und Austausch über den Glauben – so ganz klassische Gottesdienste kenne ich kaum. Das muss ich jetzt richtig lernen", erzählt er.
Im Theologie-Studium war Weihnachten kein besonders herausragendes Thema, denn theologisch sei Ostern interessanter, so Jannis Kaiser: "Aber in den Kirchengemeinden ist es natürlich riesig groß. Es ist beeindruckend, mitzuerleben, wie viele Menschen – vom Küster, den Musikern, den Pfarrpersonen bis hin zu den vielen Ehrenamtlichen – hier mitwirken, damit alles klappt." In Berg- und Marktkirche zusammen sind allein an Heiligabend acht verschiedene Gottesdienste – über den Abend verteilt kommen mehr als 1000 Menschen.
Vertrauen auf Gott gegen die Aufregung
Zum ersten Mal wird Jannis Kaiser am Ende der Christmette auch den Segen in der Bergkirche sprechen. Ein ganz besonderer Moment, auf den er sich freut, denn für die meisten ist der Schlusssegen der schönste und wichtigste Moment im Gottesdienst. Es ist auch der einzige Moment, bei dem er den Text nicht ablesen kann, denn zum Segen muss er die Arme heben: "Natürlich kann ich den Segen auswendig, aber ich habe schon ein bisschen Angst, dass ich mich vor Aufregung verhasple und den Faden verliere", so der Vikar. Und was hilft gegen die Aufregung? "Ich hoffe, dass es mir gelingt, ruhig zu bleiben. Da vertraue ich dann einfach auf Gott."