Als Hugo noch Grundschüler war, besuchte er einmal im Jahr für einen Monat seine Großmutter in Deutschland. Und er ging dort zur Schule. Bemerkenswert fand er, dass "es allen in der Klasse super wichtig war, gute Noten zu bekommen", erzählt der 13-Jährige, der mit seinen Eltern und sechs Geschwistern in Norwegen lebt. Dort gibt es erst ab der achten Klasse Noten. "Überhaupt ist es für die Kinder in der Schule viel entspannter", berichtet seine Mutter Korinna Helling.
Hugos Papa Harald wollte nicht die Arztpraxis seines Vaters übernehmen und zog vor 20 Jahren nach Norwegen. Geplant war, sagt der aus dem Harz stammende Geriater, in dem Land zwei Jahre mit seiner Frau und seinen damals zwei Kindern zu bleiben. "Doch dann blieben wir hängen." Harald Helling hatte einen guten Job. Er integrierte sich rasch und gut, sagt er. "Vier Jahre war ich im Pfarrgemeinderat."
Seine deutschen Wurzeln hat der Arzt nicht vergessen. Manchmal schnappt er sich einen Gedichtband von Rilke und genießt die deutsche Sprache. Bei Besuchen in Deutschland, sagt er schmunzelnd, werde sein in der Ferne verklärtes Deutschlandbild allerdings regelmäßig korrigiert. Beim letzten Aufenthalt erlebte Harald Helling, wie schnell man bei geringem Fehlverhalten im öffentlichen Raum eine giftige Bemerkung kassiert. In Norwegen sei das nicht so. Dort seien die Menschen entspannter.
Entspannter arbeiten
Auch wenn er manches in Deutschland vermisst, will Helling nicht zurückkehren. Dazu biete ihm Norwegen zu viele Vorteile. Nicht nur, was die Schule für die Kinder anbelangt. Beruflich hat er Benefits, an die in Deutschland nicht zu denken wäre. Als er noch Oberarzt war, konnte er alle drei Jahre vier volle Monate neben dem regulären Urlaub bezahlt freinehmen. Inzwischen ist Helling Chef einer geriatrischen Abteilung. Alle fünf Jahre erhält er vier Monate bezahlten Bildungsurlaub. "Den nächsten werde ich vermutlich in Südafrika verbringen", hat er sich vorgenommen.
Viel ist dieser Tage von Zuwanderung nach Deutschland die Rede. Es wandern allerdings auch viele Deutsche fort. Laut Statistischem Bundesamt zogen 2022 mehr als 268.000 Deutsche ins Ausland, knapp 185.000 kehrten zurück. "Bei Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit ist seit 2005 eine Nettoabwanderung festzustellen", teilt das Statistische Bundesamt mit.
Oft gäben persönliche oder familiäre Gründe den Ausschlag dafür, dass Deutsche ihrem Geburtsland den Rücken kehren, sagt Uta Koch vom Raphaelswerk. Der in Hamburg ansässige Fachverband der Caritas berät Menschen, die Deutschland verlassen wollen. Er koordiniert zwei evangelische sowie die Caritas-Beratungsstellen des Raphaelswerks in der Bundesrepublik.
Der Münchner Andreas Abel gehört zu den Menschen, bei denen der Job den Ausschlag für den Länderwechsel gab. Vor zehn Jahren ging der Programmiersprachenforscher nach Göteborg. Eigentlich wäre er gern in München geblieben: "In Deutschland ist es aber sehr schwer, eine akademische Karriere zu machen, die nicht mit 40 in einer Sackgasse endet." Das sei in Schweden anders.
Besser als in Deutschland sind laut Abel auch die Verwaltungsabläufe: "Vieles ist in Schweden digital, die Verwaltung ist auf Zack." Negativ sei in Göteborg die Wohnungsnot: "Ich habe immer noch keine schöne Wohnung." Das Wetter sei schlechter als in Bayern, der Sommer kurz.
Bei Uta Witte von der Evangelischen Auslandsberatung in Hamburg treffen an die 15 Anfragen wöchentlich ein. Sie berät nicht nur Auswanderungswillige. Zu ihr kommen auch Menschen, die zurückkehren wollen. "Das wollen sie meist deshalb, weil ihre finanzielle oder gesundheitliche Situation prekär ist", berichtet sie. Wer gesundheitliche Probleme habe, stelle oft fest, dass hierfür die Lage in Deutschland besser sei als in der Wahlheimat.