Jörg H. macht keinen Hehl daraus, dass er schwermütig wird. "Das ist eine schwere Zeit", sagt er über zur Bedeutung von Weihnachten, "es erinnert mich an Familie und Zusammenhalt." Doch seine Angehörigen kann er aus mehreren Gründen nicht sehen. Jörg H. ist Insasse der Justivollzuganstalt (JVA) Bremen. Dort sitzt er zurzeit eine Freiheitsstrafe von insgesamt drei Jahren wegen Diebstahls ab. Knapp zwei Jahre hat Jörg H. davon bereits verbüßt. Hafturlaub über die Feiertage gibt es für ihn nicht.
Anschluss findet Jörg H. bei Christian Fischer. Er ist seit vier Jahren evangelischer Pastor in der JVA. Die Advents- und Weihnachtszeit ist wie für alle Geistlichen eine arbeitsreiche Zeit: Vorbereitung der Gottesdienste, packen von Geschenktüten für die traditionelle Aktion für die rund 550 Gefangenen und einiges mehr steht in diesen Wochen auf dem Plan. "Für mich ist es sehr schön, mit in die Weihnachtsvorbereitungen hineingenommen zu werden", sagt Jörg H., der nach eigenen Worten vor fünf Jahren zum christlichen Glauben gefunden hat und inzwischen als sogenannter Kalfaktor in der Kirche der JVA arbeitet. In den Landeskirchen ist es die Küsterin oder der Küster. Das Gebet und die Arbeit helfen Jörg H. nach seinen Worten, mit der unweigerlich einsetzenden Schwermut umzugehen.
Was über die Festtage geschieht, umschreibt der evangelische Pastor so: "An Weihnachten ist die Tür auf." Dazu gehört, dass alle Insassen an Heiligabend die Möglichkeit haben, den Gottesdienst in der JVA-Kirche zu besuchen; jeweils ein weiterer findet in der Untersuchungshaft und im Frauengefängnis statt. Beim Gottesdienst in der Kirche wird auch Jörg H. dabei sein wird. "Da werde ich mit Herrn Pastor Fischer in die leuchtenden Knackiaugen gucken", sagt er lächelnd. In Sachen Arbeit und Vorbereitungen kann Jörg H. dann im Prinzip einen Haken setzen.
Offene Tür für die Insassen
Nicht jedoch Christian Fischer. Für ihn begann die Arbeit im Prinzip bereits im Oktober. Dabei ist es nicht nur die Vorbereitung der Geschenktüten und deren Verteilung bei den Frauen und Männern, die entweder ihre Strafen absitzen oder die Zeit in Untersuchungshaft verbringen müssen. In dieser "besonderen Zeit", so Fischer, hätten die Insassen wegen des Novemberblues Gesprächsbedarf.
Heiligabend ist Christian Fischer mit seinen drei Gottesdiensten noch einmal besonders gefordert. Am 24. Dezember wird er nicht nur dort für die Insassen da sein, sondern geht darüber hinaus auf die Stationen. "Ich mache es gerne!", sagt der Pastor. Den ersten und zweiten Weihnachtstag verbringt Christian Fischer mit seiner Familie – der Gefängnisalltag bleibt dann draußen. Er sagt: "Was hier war, bleibt auch hier."
Während Christian Fischer das Fest mit seiner Familie verbringt, könnte es für Oliver V. zu einer Veränderung kommen: zum Wechsel in den offenen Vollzug. Er ist wegen Betrugs zu einer insgesamt sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, gut 15 Monate hat er noch abzusitzen. Zurzeit arbeitet er in der JVA-Außenstelle der Stadtbibliothek Bremen. Weihnachten hat für Oliver V. weniger mit Religion zu tun: "Ich verbinde es eher mit einem Gefühl."
Ihm wird warm ums Herz, wenn er sich vorstellt, wie seine Mutter für die Familie kocht. Doch das findet für ihn und die meisten anderen Insassen nicht statt, im Gegenteil. "Man fühlt sich mehr denn je auf’s Abstellgleis geschoben", beschreibt er das Gefühl an den Festtagen. Die fehlende Nestwärme fühle sich "brutal" an.
"Kleine Kerze" zu Weihnachten
Der Zusammenhalt innerhalb der Familie funktioniere, das jedoch sei im Knast anders, weiß Oliver V. Emotionale Abstürze seien mehr oder minder vorprogrammiert – wenn da nicht die Weihnachtstüten-Aktion von Christian Fischer und seines katholischen Kollegen, Diakon Dr. Richard Goritzka, seien. "Das ist eine kleine Kerze", sagt Oliver V. lächelnd, "man fühlt sich gemocht." Jörg H. nickt zustimmend. Dass beide emotionale Hänger bekommen werden, wissen sie: "Heiligabend, wenn ich in meiner Zelle bin", sagt Jörg H. Dann gebe es keinen, der einen emotional auffängt.
Alleine vor diesem Hintergrund seien Gemeinschaften im Knast wichtig, findet Oliver V. – egal, ob Weihnachten oder Ostern. Ein gutes Beispiel dafür sei das interkulturelle Fest Ostern dieses Jahres. Religion sei im Übrigen über die Feiertage hinaus für viele Insassen "ein Thema". Oliver V. erläutert: "Manche fangen an, sich mit der Frage der Schuld auseinanderzusetzen. Früher oder später stoßen sie auf die Religion."