Vor einem roten Samtvorhang sitzen sechs Menschen und warten darauf, dass in der Gruppe Jugendlicher vor ihnen Ruhe einkehrt. Kurz nachdem es still ist, lenkt Religionslehrer Jochen Kilb, einer der sechs, das Gespräch auf den Nahostkonflikt. "Wir sind keine Experten bei diesem Thema", schränkt er ein. Trotzdem ermutigt Kilb die Schülerinnen und Schüler, Fragen dazu zu stellen, man habe sich inhaltlich vorbereitet.
Mit Kilb im Bürgerhaus in Schwalbach am Taunus bei Frankfurt am Main sitzen der evangelische Pfarrer Andreas Heidrich, die Biologin Jasmina Makarevic, Muslima mit bosnischen Wurzeln, und die jüdische Schriftstellerin Petra Kunik, außerdem zwei Schüler-Moderatoren. Heidrich, Makarevic und Kunik sind ein sogenanntes Abrahamisches Team. Als solches gehen sie für den Verein Abrahamisches Forum immer wieder in Schulen, um mit den Kindern und Jugendlichen über ihre Religionen ins Gespräch zu kommen.
Seit zwölf Jahren bietet der Verein das Gesprächsformat an. "Wo Menschen miteinander kooperieren, da werden Vorurteile und Ängste abgebaut", teilt der Verein mit. "Wo sie sich fremd bleiben, da entwickeln sich Konflikte, rassistische Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen." Deswegen seien Gespräche, wie hier in Schwalbach, angesichts des Kriegs im Nahen Osten so dringend erforderlich.
"Seit dem 7. Oktober ist alles anders", sagt Kilb. An diesem Tag überfiel die Hamas Israel. Seitdem kommt es auch in Deutschland zu antisemitischen Protesten und gleichzeitig bricht sich der antimuslimische Rassismus Bahn, der Muslimen pauschal Antisemitismus unterstellt. Unter diesen Vorzeichen kommen Heidrich, Makarevic und Kunik mit den Zehntklässlern der Albert-Einstein-Schule zusammen.
Nach der offiziellen Diskussionsrunde sagt Kunik, sie trage ihren Davidstern-Anhänger seit dem 7. Oktober nicht mehr offen. Der Blick auf Juden werde allerdings schon seit längerem zunehmend unfreundlicher, habe sie beobachtet. Vor einigen Jahren habe sie ihren Enkel am Frankfurter Hauptbahnhof abgeholt, erzählt sie: "Er hatte einen himmelblauen Pulli mit einem großen Davidstern darauf an", als er aus dem Zug gestiegen sei. Sie habe ihm gesagt, er solle ihn sofort ausziehen. "Aber Oma, ich wollte dir doch nur eine Freude machen", habe er zu ihr gesagt.
So ähnlich beobachtet das auch Makarevic im Falle der Muslime. An sich selbst habe sie es noch nicht so sehr erfahren, weil sie eine helle Haut und blaue Augen habe. "Arabische und türkische Freundinnen haben größere Probleme als ich", berichtet sie. Ihren Töchtern rate sie, sich gut zu überlegen, ob sie Kopftuch tragen wollten. Man werde damit oft schief angesehen und bekomme noch schwerer eine Wohnung.
Kilb sagt, es gebe im Lehrerkollegium "große Befürchtungen, das Thema Nahostkonflikt aufzugreifen". Einerseits sorgten sich Lehrer, selbst zu wenig über den Konflikt zu wissen, andererseits hätten sie Angst, in ein Wespennest zu stechen. An der Albert-Einstein-Schule habe es bisher keine antisemitischen Vorfälle gegeben. "Wir wissen nicht, ob wir jüdische Schüler haben", erklärt er.
Die Schülerinnen und Schüler fragen Dinge wie "Warum sind sie eigentlich gläubig?" oder "Was sagt ihre Religion zum Töten von Tieren?". Heidrich antwortet: "Der Glaube gibt Sinn in sinnlosen Situationen", und dass er selbst zwar gerne Fleisch esse, aber der hohe Fleischkonsum von heute beispiellos in der Geschichte sei.
Ob sie an Wunder durch Gott glauben, wollten die Schüler noch wissen. Für Heidrich "ist es ein Wunder, dass wir hier heute so zusammensitzen". Vor 50 Jahren sei das so noch nicht möglich gewesen. Zum Nahostkonflikt kommt keine einzige Frage. Kunik wundert das nicht. "Daran sieht man: Religion spielt bei diesem ganzen Hass keine Rolle."