Über die Berechnung des Rauminhalts
Eine französische Antiquarin ist plötzlich in einer Zeitschleife gefangen
Das Leben von Tara Selter in einer nordfranzösischen Kleinstadt ist eher unaufgeregt. Mit ihrem Mann Thomas betreibt sie ein kleines Versandantiquariat. Nach der Rückkehr von einer beruflich bedingten Reise findet sie sich aber in der beängstigenden Situation wieder, dass sie den 18. November ein Jahr lang immer wieder erlebt, während für den Rest der Welt der Tag erstmals abläuft. Das führt zwangsläufig dazu, dass sie sich von ihrem Mann entfremdet.
Nur die Konstruktion ähnelt der des Erfolgsfilms "Und täglich grüßt das Murmeltier" (1993). Die Geschichte ist aber keine Komödie, sondern berührt existenzielle Fragen. Alles dreht sich darum, ob es der Ich-Erzählerin gelingt, die Zeitkapsel wieder zu verlassen. Dies führt zu Längen, obwohl der Stil mit seinen meist kurzen Sätzen ansprechend ist.
Das Buch mit dem eher wenig aussagekräftigen Titel gehört zu einem vierteiligen Werk, das mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet wurde. Tobias Behnen
Balle, Solvej: Über die Berechnung des Rauminhalts. Roman. Berlin: Matthes & Seitz 2023. 170 S. ISBN 978-3-7518-0912-2, geb.: 22,00 €
Bevor der Kaffee kalt wird
Vier nachdenkliche Geschichten von Zeitreisen, bei denen es ganz bestimmte Regeln einzuhalten gilt
Langsam spricht es sich herum, dass im Café Funiculi Funicula ein magischer Stuhl steht, der einen in die Vergangenheit zurückbringt. Man muss aber gewisse Regeln einhalten. Eine ist, dass man nur solange Zeit hat, bis eine Tasse Kaffee kalt wird. Außerdem kann man durch die Reise nichts an der Gegenwart verändern.
Vier mitreißende, traurige Geschichten erwarten einen in dem schmalen Bändchen des japanischen Bestsellerautors und Dramatikers Toshikazu Kawaguchi und jede hat es in sich. Zwar braucht man am Anfang ein wenig, um in die erste Geschichte hineinzufinden, aber die Beharrlichkeit lohnt. Es tut sich ein Kosmos der Menschlichkeit, des Schmerzes - kurz, eine ganze Skala an unterschiedlichsten Gefühlen auf.
Besonders hat der Rezensentin die zweite Geschichte gefallen. Sie traf mitten ins Herz. Das leise Buch eignet sich wunderbar für stille, harmonische Stunden und zum Philosophieren über zweite Chancen, verpasste Momente und die Hoffnung, durch den Blick zurück die Zukunft mutiger anzugehen. Diese muntere Legende von Zeitreisen ist ein Buch abseits des Mainstreams und findet gerade deswegen seine Leser. Martina Mattes
Kawaguchi, Toshikazu: Bevor der Kaffee kalt wird. München: Knaur 2021. 239 S. ISBN 978-3-426-87914-6, kt.: 10,00 €
Das vorläufige Ende der Zeit
Ein Roman um Artur, Mi-Ra und Horatio, die sich auf dem verlassenen jüdischen Friedhof in S?ubice (Polen) treffen
Mi-Ra, die koreanisch-stämmige Archäologin, forscht auf dem jüdischen Friedhof in der Nähe von Frankfurt/Oder für einen wissenschaftlichen Artikel, der polnische Friedhofswärter Artur unterstützt sie dabei. Der Friedhof ist sehr heruntergekommen, er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr vernachlässigt.
Beide Personen haben mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen - Mi-Ra mit der Misshandlung in Kindheitstagen, Artur mit dem viel zu frühen Tod seiner kleinen Tochter. Abends treffen sie auf den Verleger Horatio - einen merkwürdigen Zeitgenossen, der behauptet, zwischen zwei Gräbern einen Zeitriss entdeckt zu haben, über den man in die Vergangenheit reisen und seinem Schicksal eine Wendung geben könne. Die Existenz von Parallelwelten sei möglich, zumindest ist es eine interessante Frage. Horatio schickt beide auf eine "Pilzreise", um vielleicht ihrem Leben eine neue Wendung zu geben.
Das Ende ist überraschend, insgesamt hat das Buch aber Längen. Das Thema Vergangenheit, die Zeitreise und die Charaktere werden gelungen dargestellt. Martin Ertz-Schander
Mayer, Berni: Das vorläufige Ende der Zeit. Roman. Köln: DuMont 2023. 248 S. ISBN 978-3-8321-8184-0, geb.: 24,00 €
Wir sehen uns gestern
Was würde aus unserer Zukunft, wenn wir unsere Vergangenheit verändern könnten
Als die New Yorkerin Alice an ihrem vierzigsten Geburtstag morgens erwacht, ist sie wieder sechzehn und zurück in ihrem Elternhaus. Nach anfänglichen Verwirrungen findet sie sich schnell in ihrem früheren Leben zurecht und genießt die Zeit mit ihrem gesunden Vater Leonard und ihrer besten Freundin Sam.
Vierundzwanzig Stunden später ist der Spuk vorbei und Alice zurück in ihrem alten Leben. Ihr Vater liegt im Sterben, doch einiges hat sich durch die Reise in die Vergangenheit auch verändert. Immer wieder wagt sie nun die Reise zurück in ihre Jugend mit der Absicht, das Leben ihres Vaters zu retten. Doch wird es ihr gelingen oder ist eine Versöhnung mit dem Schicksal auf anderen Wegen möglich? Nicole Tecklenburg
Straub, Emma: Wir sehen uns gestern. Roman. München: Limes 2023. 367 S. ISBN 978-3-8090-2760-7, kt.: 17,00 €
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