Philip Büttner hat ein Spiel erdacht, das nicht lustig ist. "Sagen wir mal, ich gebe 20 Euro am Tag für Essen aus", sagt er und trägt 600 Euro im Abschnitt "Ernährung" ein. Uuups, damit ist er schon über dem Regelsatz von 502 Euro, und in der Mitte des bunten Kreises erscheint ein Minus von 98 Euro. Das funktioniert nicht, wenn Büttner am Ende "Bingo" lesen will. 20 Euro seien auch ein bisschen hoch gegriffen, meint er - und kürzt die Ausgaben um die Hälfte: 300 Euro. Dann bleiben noch 202 Euro zum Leben.
Büttner arbeitet für den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, eine Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Kirche (EKD). Das sozialpolitische Online-Spiel "Bürgergeld-Bingo" stellten Büttners Verband, die Diakonie Deutschland, das Armutsnetzwerk und der Verband Kirche und Arbeitswelt am Mittwoch gemeinsam in einer Online-Präsentation vor.
Am Ende seiner Klick-Tour durch zwölf Posten wird Büttner bei 168 Euro für Essen landen. Bei allem, von Kleidung über Mobilität bis Bildung, musste er seine ersten Einträge radikal kürzen. Für Ernährung sind im Regelsatz für einen Erwachsenen 174 Euro im Monat vorgesehen, das sind knapp sechs Euro für drei Mahlzeiten am Tag. "Da lag ich also schon ganz gut", sagt Büttner.
Während er das Spiel spielt, kann jede und jeder still mitrechnen: 45 Euro enthält der monatliche Bürgergeld-Satz für Mobilität - das reicht nicht für das Deutschland-Ticket, 42 Euro im Monat für die Stromrechnung und alle Reparaturen, genau so viel für Kleidung und Schuhe. Zwei Kaffee auswärts sind sechs Euro: Geht eigentlich nicht, sagt Büttner, obwohl im Regelsatz auch Geld für die Teilnahme am "ganz normalen Leben" vorgesehen ist.
"Wir können entscheiden, was wir jeden Tag sparen"
"Mit ein paar Mausklicks einen Perspektivwechsel ermöglichen und den Mangel nachvollziehbar machen" ist Büttners Anliegen und auch das der Diakonie-Vorständin Maria Loheide sowie von Jürgen Schneider vom Armutsnetzwerk. "Wir können entscheiden, was wir jeden Tag sparen, damit wir etwas, das wir brauchen, wenigstens zum Teil finanzieren können", sagt Schneider. Das Online-Spiel richte sich an all die Menschen, "die das Bürgergeld zu hoch finden".
Loheide kritisiert, dass in der aktuellen Debatte um die Höhe der Sozialleistungen und das Lohnabstandsgebot zunehmend populistische Töne zu hören seien. Menschen würden zur Zielscheibe. Nötig seien aber "Sachlichkeit und Menschlichkeit". Schneider sagt es so: "Irgendwie kommen die Menschen, die es betrifft, immer an den Marterpfahl der Öffentlichkeit". Loheide zufolge decken die Regelsätze das Existenzminimum nicht ab.
Demgegenüber hatte unter anderem der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz anlässlich der Anfang 2024 anstehenden Erhöhung des Bürgergelds vor zu hohen Sozialleistungen gewarnt. Diejenigen, die arbeiten, müssten netto mehr in der Tasche haben als die, die soziale Transferleistungen bekommen, verlangte der CDU-Chef - und erhielt dafür auch Zustimmung aus der mitregierenden FDP.
Im September bezogen laut Bundesagentur für Arbeit rund 5,7 Millionen Menschen Bürgergeld, davon rund 1,6 Millionen nicht Erwerbsfähige. Anfang 2024 steigt der Regelsatz für einen Erwachsenen von 502 Euro auf 563 Euro im Monat, plus Miete und Heizkosten. Der Diakonie zufolge gleicht das kaum die Inflation aus. Der evangelische Wohlfahrtsverband und zahlreiche weitere Sozialverbände fordern deshalb eine Neuberechnung und Erhöhung des Regelsatzes auf mindestens 600 Euro im Monat.