"Wir haben den Antisemitismus in der eigenen Gesellschaft einschließlich der Menschen mit Migrationsgeschichte nicht ernst genug genommen", sagte die Theologin der "Nordwest-Zeitung" (21.10.). Ein Kind, das in Syrien aufgewachsen ist, sei die ganze Zeit mit antiisraelischen, antizionistischen und antijudaistischen Erzählungen und Mythen konfrontiert worden. "Das nicht bearbeitet zu haben, ist ein Integrationsversagen", betonte Bahr. "Daher müssen wir so früh wie möglich aufklären, dürfen die Schulen damit aber nicht alleinlassen."
Allerdings gehe es keineswegs nur um einen "eingewanderten Antisemitismus". Auf antisemitische Gerüchte und Stereotypen treffe man nicht nur in rechtsradikalen Szenen, sondern auch in bürgerlichen Wohnzimmern. Bahr sagte, sie glaube, vielen Menschen in Deutschland gehe es nicht gut. "Sie spüren seit Jahren den enorm hohen Veränderungsdruck. Die Pandemie hat viele Lebenskonzepte noch einmal infrage gestellt. Und wer Zukunftsängste hat und beunruhigt ist, entwickelt manchmal auch Ressentiments", sagte die Regionalbischöfin.
Zugleich kritisierte sie eine verbreitete "Konsumhaltung gegenüber der Demokratie". Viele Menschen meinten, wenn sie ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel gemacht hätten, müssten "die da oben dafür sorgen, dass das Leben gelingt und man unbehelligt bleibt von allem Unbehagen in der Welt". Das könne nicht funktionieren, "weil eine demokratische Gesellschaft eine ist, in der Menschen selbst ebenfalls Verantwortung übernehmen - für sich und vor allem für andere".
Vor einer zunehmenden Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland warnt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Die Bedrohung habe zugenommen, "denn der Antisemitismus im Land hat insgesamt zugenommen", sagte Schuster der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (22.10.). Dabei sei das Problem des Antisemitismus auch unter muslimischen Einwanderern "offensichtlich groß". Die gefährlichste Form des Judenhasses in Deutschland sei aber der rechtsextreme Antisemitismus.
Ideologie der AfD und der Hamas treffen sich
In diesem Zusammenhang ist Schuster besorgt über die hohen Umfragewerte für die AfD. Die Partei trage "antisemitische Denkmuster in die Mitte der Gesellschaft" und treffe sich da "mit der Ideologie der Hamas und ihren Unterstützern auf deutschen Straßen".
Grünen-Parteichefin Ricarda Lang sprach sich für ein gesellschaftliches Bündnis gegen Antisemitismus aus. "Wir sollten uns davor hüten, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen." Es gebe viele Stimmen aus der islamischen Community, die sich klar gegen die Hamas positioniert hätten, sagte sie der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Sie hätte sich aber ein "klareres Statement vonseiten der Islamverbände gewünscht". Sportvereine, Unternehmerverbände, Gewerkschaften und Kirchen müssten jetzt gemeinsam aufstehen.