Die Werke des norwegischen Schriftstellers Jon Fosse sind gekennzeichnet von existentieller Verlorenheit, Einsamkeit und Sprachlosigkeit. Er ist bekannt für die Beschreibung melancholischer, existentieller Stimmungen. Die Schwedische Akademie hat dem 64-jährigen Autor am Donnerstag den diesjährigen Literaturnobelpreis zuerkannt. In einem ersten Interview mit dem norwegischen Sender RNK sagte der als öffentlichkeitssscheu geltende Fosse: "Ich habe mich in den vergangenen zehn Jahren behutsam auf die Möglichkeit vorbereitet, dass das passieren könnte. Es war mir eine große Freude, den Anruf zu erhalten."
In seinem großen, auf sieben Bände angelegten Romanwerk "Der andere Name" (2019) betritt der Maler Asle einen Raum und sieht dort einen Mann sitzen, der wie er Asle heißt, ebenfalls Maler ist und ihm äußerlich denkbar ähnlich sieht. Beide kennen sich, haben schon miteinander gesprochen und akzeptiert, dass es einen Doppelgänger gibt. Der eine ist als Maler arriviert, privat allerdings vom Schicksal geplagt. Er hat seine Frau verloren, lebt allein und fühlt sich einsam. Doch das ist ungleich glücklicher als das Leben des anderen, denn dieser ist erfolglos und ein schwerer Trinker.
Dieses Spiel mit der Identität hatte bereits die früheren Bücher, die Lyrik und die Schauspiele des 1959 in der norwegischen Kleinstadt Haugesund geborenen Schriftstellers bestimmt. Das Motto des Romanwerks um die zwei Malerpersönlichkeiten, der berühmte Satz des Franzosen Arthur Rimbaud, "Ich ist ein anderer", könnte auch über anderen Werken stehen, die meist lakonische Titel tragen wie "Der Name" (1995), "Der Sohn" (1997), "Sommertag" (1999) oder "Winter" (2000). Es ist auch kein Zufall, dass sein als Meisterwerk gerühmter Roman von 1996 "Melancholie" heißt.
Im Hintergrund von Fosses literarischen Arbeiten erhebt sich immer wieder die dunkle norwegische Fjord-Landschaft, auf die er seit seiner Kindheit immer wieder blickte. Aufgewachsen ist Fosse in Strandebarm, einem kleinen Dorf in der Provinz Hardanger an der Südwestküste Norwegens, die berühmt ist wegen ihres fast 200 Kilometer langen Fjordes. Seinem Land und seinen Landschaften ist er in Literatur und Leben immer treu geblieben, heute lebt er abwechselnd in Oslo, in der Nähe der Stadt Bergen oder, zusammen mit seiner slowakischen Frau, in der Nähe ihrer Heimat, der österreichischen Kleinstadt Hainburg.
Ungern gibt er Interviews oder tritt in der Öffentlichkeit auf. Einiges ist über ihn bekannt - etwa seine Abneigung gegenüber dem Trubel von Großstädten, seine zeitweilige Alkoholsucht, oder seine lebenslange Auseinandersetzung mit Fragen der Religion. Seine Eltern gehörten der Glaubensgemeinschaft der Quäker an, bekannt wurde seine Konversion zum Katholizismus 2015, über die er in seinem Buch "Geheimnis des Glaubens" Auskunft gab, das noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde. In einem der seltenen Interviews sprach er mit dem Deutschlandradio über seine Konversion: "Man kann sich dem Glauben nicht wissenschaftlich nähern. Denn dann existiert Gott nicht. Er ist hinter allem, was existiert."
Trotz der spärlichen Informationen über sein Leben sprechen doch seine mehr als 40 Bücher eine deutliche Sprache. Oft hören in seinen Schauspielen die Sätze einfach auf und es bleibt nur die Regieanweisung "bricht ab". Fosse selber sprach einmal von "dieser kindlichen Angst des Verlassenwerdens", die ihn immer wieder umtreibe. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nannte ihn einmal "den Minimalisten unter den europäischen Dramatikern".
Als junger Mann hat Fosse obsessiv Gitarre und Violine gespielt, bevor er die Musik fast ganz aufgab. Dafür kultivierte er die dunklen Töne in Gedichten, Romanen und Theaterstücken. Einer Literatur in Moll hat er sich verschrieben. Den Literaturnobelpreis 2023 erhält er für seine "innovativen Stücke und Prosa, die dem Unsagbaren eine Stimme geben", wie das Nobelpreiskomitee erklärte. Sein deutscher Buchverlag Rowohlt rühmt ihn als "Beckett des 21. Jahrhunderts".