Foto: epd-bild/Dieter Sell
Peter Walther: die wandelnde Klagemauer
Er ist Deutschlands dienstältester evangelischer Polizeipastor. Fast 30 Jahre hat der Bremer Peter Walther Beamte begleitet. Im Regen. 36 Stunden am Stück. Wenn es galt, eine Todesnachricht zu überbringen. Heute geht Peter Walther in den Ruhestand.
17.10.2012
epd
Dieter Sell

Langsam kriecht der Regen unter den schwarzen Talar. Aber Bremens Polizeipastor Peter Walther lässt sich nicht beirren. Kripomann Thomas Irmer alias "Crazy Tom" hat sich partout in den Kopf gesetzt, seine Frau Beate unter freiem Himmel zu heiraten. Das es da jetzt Hunde und Katzen regnet - geschenkt. Walther bleibt tropfnass an der Seite der Paares, das von Dutzenden Kollegen umringt leicht fröstelnd die Ringe tauscht. Eine typische Szene für Deutschlands dienstältesten evangelischen Polizeiseelsorger, der an diesem Mittwoch in den Ruhestand verabschiedet wird.

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Bundesweit sind nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) rund 120 Polizeiseelsorger im Einsatz, davon etwa 45 hauptamtlich. Dass Walther mal dazugehören würde, das war anfangs gar nicht klar. "Ich und Polizeipastor? Absoluter Schwachsinn", war die spontane Reaktion des heute knapp 63-Jährigen, als ihm das Amt angetragen wurde.

Der friedensbewegte Kasernen-Blockierer studierte in der heißen 68er-Phase Theologie, hielt nichts von Hierarchien, trug nie eine Uniform, dafür aber Palästinenser-Tücher. Distanz zur Staatsgewalt? Linke Ehrensache. Gut, dachte Walther sozialromantisch verklärt: "Vielleicht kann ich vermitteln, wenn die Polizei übergriffig wird. Wenn's nicht klappt, werf' ich den Kram mit Bombast hin."

Walther überbrachte die Todesnachricht nach dem Gladbecker Geiseldrama

So gepolt traf er auf Beamte, die ihrerseits ein Bild im Kopf hatten und ihm zu verstehen gaben: "Eigentlich brauchen wir hier keinen Pastor." Doch das hat sich über die Jahre gründlich geändert. Wenn Walther heute nach fast 30 Dienstjahren als Polizeipastor durch die Stadt geht, grüßen viele Uniformierte den Mann, der sich in seiner Freizeit gern beim Saxophon-Spielen entspannt. Etliche haben ihn im berufsethischen Unterricht, in Krisengesprächen, bei Seminaren oder in Einsätzen kennengelernt. Für manchen ist er zur Klagemauer geworden. Dienstlich sowieso. Und manchmal auch privat.

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Er sei für die Beamten eine feste Größe gewesen, "besonders in emotional belastenden Situationen", lobt Bremens Polizeipräsident Lutz Müller. Gerade, wenn es galt, eine Todesnachricht zu überbringen. Die erste Situation dieser Art hat er im August 1988 erlebt, beim Gladbecker Geiseldrama. Damals starb die 18-jährige Silke Bischoff. Zusammen mit einem Polizisten überbrachte Walther der Familie die Todesnachricht.

Seither weiß er um die Dramatik: "Wenn wir die Nachricht überbringen, machen wir mit einem großen Hebel eine Falltür unter den Füßen von Leuten auf, für die das Leben bis eben noch in Ordnung war." Trotzdem war er immer dafür, nicht in Floskeln von Menschen zu sprechen, die "von uns gegangen" oder "eingeschlafen" sind.

In Gorleben konnte er nur Aggressionen sortieren

Bei der Wahrheit bleiben, die Angehörigen in solchen Ausnahmesituationen nicht alleine lassen, ihre Emotionen aushalten - das war die Linie von Walther, der in Bremen auch die Notfallseelsorge gegründet hat. Und das galt natürlich auch für die Einsatzkräfte. Stress, Schichtdienst, massenweise Überstunden, stetig steigende Gewalt selbst biederer Bürger gegen die Polizei - Walther stand über Jahrzehnte an der Seite der Beamten.

So wie im niedersächsischen Wendland, wenn Castoren ins atomare Zwischenlager nach Gorleben eskortiert werden mussten. Die Beamten handeln dabei wie sonst auch in staatlichem Auftrag, in Gorleben aber gegen den Willen der Bevölkerung, die deshalb in den Einsatzkräften oft nicht den Schutzmann, sondern den Feind sieht.

Vermitteln, wie früher mal gedacht, war da nicht drin. Also half Walther den Polizisten, Frust und aufkeimende Aggressionen zu sortieren. "Natürlich wollte ich, dass die alle heil nach Hause kommen", sagt er rückblickend und erinnert sich an "seine Leute", mit denen er 36 Stunden am Stück im Wendland verbracht hat. Das blieb nicht ohne Folgen. In einem Buch zum Abschied schreiben Beamten von Urvertrauen, das sich entwickelt habe, vom "festen Begleiter", der mit ruhiger Art dagewesen sei. Zur Not auch mitten in der Nacht.