Man kann sich fast bildlich vorstellen, welchen Spaß Matthias Keilich und Khyana el Bitar beim Schreiben des Drehbuchs zum "Wilsberg"-Krimi "Doktorspiele" gehabt haben müssen. Das Duo hatte sich drei Jahre zuvor die schräge Komödie "Die Könige der Nutzholzgewinnung" ausgedacht und setzte nun – Erstausstrahlung war 2009 – noch einen drauf.
Die Filme über den unkonventionellen Privatdetektiv aus Münster (Leonard Lansink) sind ohnehin für ihre ausgezeichneten Drehbücher, aber in der Vorlage von Keilich und el Bitar wimmelt es nur so von Anspielungen und Zitaten. Mit krimigeschultem Blick fürs Detail ahnt man zum Beispiel gleich, dass Wilsberg nicht zufällig Edgar Allan Poes Buch "Der entwendete Brief" in die Hände fällt, und tatsächlich bringt die Auflösung der Detektivgeschichte auch Wilsberg am Ende auf die entscheidende Idee.
In erster Linie aber ist "Doktorspiele" (Episode Nummer 27) ein ausgezeichneter und höchst verzwickter Krimi, der Verdächtige zuhauf zu bieten hat. Wilsberg ist diesmal sogar Zeuge des Mordes: Die Frau (Elena Uhlig) von Germanistikprofessor Kaiser verdächtigt ihren Gatten der Untreue und hat den Detektiv gebeten, ihn zu überwachen. Vor Wilsbergs Augen wird der Mann erschossen, mitten im Seitensprung. Rasch zeigt sich, dass viele Menschen alles andere als traurig über den Verlust sind: Seinem Kollegen Varnholt (Helmut Berger) hat er den Posten als Leiter des Fachbereichs weggeschnappt, einen Mitarbeiter (Wanja Mues) an einem Fachbuch brachte er um die Meriten, eine Germanistin (Claudia Mehnert) nötigte er mit der Aussicht auf eine Doktorandenstelle zu sexuellen Gefälligkeiten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bloß Frau Kaiser steht nicht auf Wilsbergs Liste, dafür mag er sie viel zu sehr, selbst wenn sie die klassische WWM ist (Witwe mit Motiv). Doch je stärker sich Wilsberg mit dem Fachbereich Germanistik beschäftigt, umso offenkundiger werden die Motive der Kollegen, zumal sie allesamt etwas zu verbergen haben. Varnholt zum Beispiel war vor über zwanzig Jahren unter anderem Namen ein Klient Wilsbergs und ein RAF-Mitläufer. Als die Spur des Falls dann auch noch in die DDR führt, erreicht die Geschichte endgültig eine Komplexität, die fast den Rahmen sprengt.
Mindestens ebenso viel Spaß machen die spielerischen Details, etwa der Angriff durch ein Doppeldecker-Modellflugzeug, eine Verbeugung vor Alfred Hitchcocks "Der unsichtbare Dritte"; oder der heftige Flirt von Ecki (Oliver Korittke), der "under cover" auf dem Campus ermittelt und sich in die schöne Studentin Ramona verguckt (in der Tat sehr aufregend: Sylta Fee Wegmann). Und dann sind da noch die herrlichen Auftritte von Overbeck (Roland Jankowsky), dem Mitarbeiter der Kommissarin, der zu oft "CSI Miami" gesehen hat; ganz zu schweigen vom Gebrauch der Münsteraner Gaunersprache Masematte, die mehrfach für Verblüffung sorgt.
Fast noch besser ist die anschließend gezeigte Episode "Gefahr in Verzug" (Nummer 29, 21.45 Uhr). Star des Films ist diesmal Roland Jankowsky: Seit Jahr und Tag tut Overbeck alles dafür, damit sein Name Angst und Schrecken verbreitet. Und wenn schon nicht unter Münsters Gangstern, dann wenigstens bei all jenen, die eigentlich auf seiner Seite sind: Mit einem derartigen Kollegen braucht man keine Feinde mehr.
Gleich zu Beginn des Films bekommt der Chuck-Norris-Fan seinen großen Auftritt; dummerweise fährt er dabei einen Mann über den Haufen und seinen Dienstwagen zu Schrott. Kein Wunder, dass der Kripo-Chef (Götz Schubert) nicht sonderlich begeistert ist, zumal seine Tochter mit ihm Auto saß und bei dem Unfall verletzt worden ist. Weil Overbeck vor den TV-Kameras dann auch noch über unvermeidliche Begleitschäden schwadroniert, quartiert ihn seine Vorgesetzte (Rita Russek) kurzerhand beim darob wenig erfreuten Wilsberg ein.
Da ahnen die Beteiligten noch nicht, dass Overbeck einen Mörder überfahren hat. Und auch Ekki sticht mitten in ein Wespennest, als er aufs Geratewohl bei einer Firma für Landmaschinen eine Steuerprüfung durchführt; selbst wenn die hübsche Prokuristin (Melika Foroutan) nach Kräften dafür sorgt, dass seine Blicke immer wieder von den Akten abschweifen.
Ecki Ziedrich hat diese herrliche komplizierte Geschichte geschrieben, Hans-Günther Bücking (Regie und Kamera) hat sie angemessen verzwickt umgesetzt. Beeindruckend lang bleibt völlig offen, worauf die Handlung hinausläuft, zumal Wilsberg und seine Mitstreiter auf immer wieder neue Rätsel stoßen. Ein Ehemann (Martin Brambach) beauftragt den Detektiv zu Beginn, seine Gattin beim vermeintlichen Seitensprung zu beschatten, aber kurz drauf ist die Frau tot. Später stellt sich raus, dass sie gar nicht verheiratet war. Und weil Overbeck ihren Mörder ins Koma befördert hat, kann man den Mann auch nicht mehr befragen, zumal er seinem Opfer alsbald ebenfalls unfreiwillig ins Jenseits folgt.
Als sich dann auch noch der harmlose Konstruktionsplan für einen Mähdrescher als Bedrohung für die nationale Sicherheit entpuppt und plötzlich das BKA mitmischt, nimmt der Fall endgültig Dimensionen an, denen man im Rahmen eines Samstagskrimis eigentlich nur parodistisch gerecht werden kann; von vielen weiteren wie beiläufig einstreuten Humoresken ganz zu schweigen.