Karla Lorenz ist vor Kurzem nach Italien versetzt worden. Neue Stadt, neuer Ärger, vor allem mit der aktuellen italienischen Regierung: Die Haltung des populistischen Innenministers, der öffentlich ankündigt, vermeintliche Staatsfeinde "ausräuchern" zu wollen, ist der Botschafterin regelrecht zuwider. Es bleibt ihr jedoch nichts anderes übrig, als die Faust in der Tasche zu ballen; Diplomatie ist auch die Kunst des Kompromisses. Diese politische Ebene bringt eine zusätzliche Farbe in die Reihe, zumal Karla ihrem Freund Jan (Alexander Beyer) gesteht, sie sei in ihrer stürmischen Jugend an Demonstrationen beteiligt gewesen, bei denen auch Steine geflogen sind.
Kein Wunder, dass die Botschafterin schließlich sogar erhebliche Sympathie für die jungen Leute empfindet, die Nikolaus Tanz (Jannik Schümann) verschleppt haben. Karlas hochgeschätzter Mitarbeiter ist ein bisschen in die Tochter des deutschen Bauunternehmers Felting (Francis Fulton-Smith) verliebt. Während Ines (Greta Geyer) als Sängerin in einem Club auftritt, stürmen Vermummte in den Raum, schießen mit einer Maschinenpistole um sich und entführen das Mädchen. Nikolaus will eingreifen und wird offenbar getötet.
Später stellt sich raus: Die Waffen enthielten Platzpatronen, der Botschaftsassistent hat bloß eine Platzwunde, und Ines ist die Freundin des Wortführers der Gruppe. Seine Schwester ist kürzlich beim Einsturz eines von Felting kernsanierten Wohnhauses ums Leben gekommen; zwanzig Menschen sind gestorben. Eine offizielle Untersuchung hat den Baulöwen allerdings von jeder Schuld freigesprochen. Mit der vermeintlichen Entführung will die Gruppe ihn zwingen, den Hinterbliebenen 10 Millionen Euro Entschädigung zu zahlen und ein geheim gehaltenes Gutachten zu veröffentlichen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich hat Regisseur Roland Suso Richter dafür gesorgt, dass die "Ewige Stadt" angemessen zur Geltung kommt. Der Film beginnt mit einem Kamerarundflug, kurz drauf wandern Karla und Nikolaus auf der Suche nach der angeblich besten Pizza Roms durch verwinkelte Gässchen. Gegen Ende, als die Botschafterin das Lösegeld übergeben soll, schicken die Entführer sie per Telefon auf einem Motorroller kreuz und quer durchs Zentrum, wobei sie prompt an allerhand bekannten Bauwerken vorbeikommt.
Sehenswert ist die Bildgestaltung jedoch aus anderen Gründen: Wie nahezu alle TV-Produktionen Richters zeichnet sich auch "Vermisst in Rom" dank vieler Schauplätze und häufiger Perspektivwechsel durch eine optische Hochwertigkeit weit über dem Fernsehfilmdurchschnitt aus. Max Knauer, seit vielen Jahren Richters bevorzugter Kameramann, hat eine gute Mischung aus Nähe und Distanz zu den Figuren gefunden; Chris Bremus, dessen Kompositionen unter anderem die ZDF-Reihe "Die Toten vom Bodensee" adeln, hat für die passende Thrillermusik gesorgt.
Sehr gut gelungen ist auch der inhaltliche Mix. Die wenigen romantischen Momente mit Jan sorgen zunächst für etwas Entspannung, aber dann verpflichtet Karla ihn kurzerhand: Gemeinsam mit der jungen Luisa Franchetti (Sophia Burtscher), die in der Botschaft die Kontakte zwischen dem BKA und den römischen Behörden koordiniert, soll der Polizist aus Prag als Hintergrundermittler fungieren.
Anders als in den meisten Auslandsproduktionen von ARD und ZDF dürfen die Einheimischen ihre Muttersprache sprechen, was viel zur Authentizität beiträgt. Mit Ausnahme Luisas können die Deutschen alle kein Italienisch, sodass für sie übersetzt werden muss. Die Rolle von Karlas Kontrahentin bei der Staatspolizei erfährt durch die Besetzung mit der zweisprachigen Clelia Sarto eine zusätzliche Aufwertung.
Die eigentlichen Gegenspieler sitzen jedoch woanders, und spätestens jetzt wird die Geschichte groß: Karla legt sich mit einer mächtigen Trias aus Politik, Kirche und Mafia an. Allerdings belässt es Drehbuchautor Christoph Busche – "Vermisst in Rom" ist sein viertes Drehbuch für die Reihe – bei vagen Andeutungen. Klar ist: Wer das Geld kontrolliert, hat die Macht; und die Vatikanbank hält ihre schützende Hand über Felting. Zum Finale bietet Karla den jungen Leuten an, im Schutz der deutschen Botschaft eine Pressekonferenz abzuhalten. Tatsächlich sieht es nun so aus, als würde die Sache ein gutes Ende nahmen, aber seit den italienischen Mafia-Klassikern aus den Siebzigern wissen alle, die das Genre schätzen: Es ist erst vorbei, wenn der Abspann beginnt.