Wenn ein Krimi nicht in der Stadt, sondern auf dem Land spielt, sprechen Fernsehmacher gern von "Crime in Nature". Der ORF hat seinen Chefermittler Moritz Eisner immer wieder mal an einen "Tatort" in die Provinz geschickt, und auch das ZDF hat irgendwann entdeckt, dass die Natur ein mindestens ebenso reizvoller Krimischauplatz ist wie die Großstadt. Deshalb passen die "Landkrimis", die das österreichische Fernsehen seit Dezember 2014 mehrmals pro Jahr ausstrahlt, auch recht gut ins Programm des "Zweiten".
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ZDF hat einige dieser Filme gekauft, stand dabei aber vor einem ähnlichen Problem wie die ARD, die sich mit "Steirerblut" ebenfalls bei der Reihe bedient hatte: Wenn der ORF die Filme im Unterschied zu den vielen Koproduktionen mit ARD und ZDF nur für sein einheimisches Publikum herstellt, dürfen die Schauspieler reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Bei aller Sympathie für die verschiedenen österreichischen Dialekte: Manches versteht man schlicht nicht.
Das ZDF hat die Krimis daher leicht synchronisieren lassen, doch die Sprachfärbung klingt komplett anders als etwa in den deutsch-österreichischen Reihen "Die Toten vom Bodensee" oder "Die Toten von Salzburg".
Aber nicht nur akustisch, auch optisch sind die Unterschiede evident - und das keineswegs nur, weil die meisten Schauspieler hierzulande kaum bekannt sind: Die Bildgestaltung ist bei weitem nicht so aufwendig wie in den Krimis, die das ZDF üblicherweise als "Fernsehfilm der Woche" ausstrahlt. Dafür ist die Geschichte interessant, auch wenn es selten ein gutes Zeichen ist, dass an der Adaption des gleichnamigen Romans von Manfred Baumann gleich mehrere Autoren beteiligt waren.
Unter ihnen ist aber immerhin neben Stefan Hafner und Thomas Weingartner auch der für Dramen wie "Ein halbes Leben" oder "Die Auslöschung" unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Regisseur Nikolaus Leytner. Regie hat allerdings die gebürtige Argentinierin Catalina Molina geführt; "Drachenjungfrau", eine Wiederholung aus dem Jahr 2018, war ihr Langfilmdebüt.
Hauptfigur des Krimis ist Kommissar Martin Merana (Manuel Rubey) von der Salzburger Mordkommission. Eigentlich freut er sich auf seinen Urlaub, aber daraus wird nichts: Bei den Krimmler Wasserfällen ist die Leiche der 15-jährigen Lena gefunden worden. Weil sie einen herzförmigen Stein in der Hand hält, fühlen sich die Einheimischen umgehend an die Pinzgau-Sage einer Jungfrau erinnert, die reinen Herzens war, aber durch die Missgunst ihrer Mitmenschen in den Tod getrieben wurde.
Dass Merana sich des Falls nur mit äußerst gemischten Gefühlen annimmt, hat jedoch andere Gründe: Er hat in Krimml seine Kindheit verbracht. Nun wird auch deutlich, warum der Film mit der Verfolgung eines kleinen Jungen durch eine Gruppe Gleichaltriger beginnt; die als Kind erlebten Schikanen bereiten dem Kommissar heute noch Alpträume. Als ihm klar wird, wer die Mutter des Mädchens ist, wird ihm erneut blümerant: Alma (Patricia Aulitzky, dem ZDF-Publikum als einstige Titeldarstellerin der Hebammen-Heimatreihe "Lena Lorenz" bekannt) war einst seine große Liebe - und Lena womöglich seine Tochter.
Bis dahin orientiert sich "Drachenjungfrau" also an einem beliebten Schema vieler Filme dieser Art: Städter kehrt in seine alte Heimat zurück und begegnet dort neben der Jugendliebe auch einigen Schatten der Vergangenheit, die er nie wiederzusehen hoffte.
Interessant wird die Geschichte, weil der halbe Ort verdächtig ist. Am letzten Abend, den Lena lebendig verbracht hat, fand in Krimml die Wahl zur Miss Marketenderin statt - eine kaum kaschierte Fleischbeschau gut gewachsener junger Frauen, organisiert vom Bürgermeister (Harald Krassnitzer), der womöglich mehr von Lena wollte als nur ihre Teilnahme an der Veranstaltung. Gleiches gilt für ihren Stiefvater, den Merana mit besonderer Hingabe in die Mangel nimmt, weil er einst der Anführer der Kinderbande war, die ihn immer gequält hat. Aber natürlich hätte auch die von Lena ausgebootete einheimische Konkurrentin ein Motiv.
Die Krimispannung hält sich in Grenzen, aber die Musik ist ebenso ungewöhnlich wie einige wirklich originelle Ideen: Zur Identifikation einer Automarke wird einer Zeugin ein Quartett vorgelegt, die Flucht eines Verdächtigen wird von Gejodel begleitet, und als die Leiterin des lokalen Polizeiposten per Funk eine als Zahlenfolge verschlüsselte Mitteilung macht, versteht der Kollege im Revier "Sprengstoffanschlag".
Die Figuren sind ebenfalls interessant - auch jene, die nur mittelbar mit der Mördersuche zu tun haben. Star des Films, wenn man so will, ist jedoch der donnernde Wasserfall, dessen Imposanz Regisseurin Molina und ihr Kameramann Klemens Hufnagl vollauf gerecht werden. Bei den Biberacher Filmfestspielen ist "Drachenjungfrau" 2016 als bester Fernsehfilm ausgezeichnet worden.