Den Islam als strafende Gesetzesreligion kennt Mouhanad Khorchide aus Saudi Arabien. Dort lebte er bis zu seinem 17. Lebensjahr. "Ich habe Muslime erlebt, die kleinste religiöse Regeln beachteten: Der Bart musste lang sein, Frauen mussten ihr Gesicht verhüllen", schreibt der Münsteraner Theologieprofessor Mouhanad Khorchide in seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit", das am Montag im Freiburger Herder Verlag erscheint.
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"Man glaubte, Gott einen Gefallen damit zu tun, dass man die Zähne mit einer Baumwurzel putzte statt mit einer Zahnbürste oder dass man möglichst viele Menschen für höllenreif erklärte." Doch solche Ansichten widersprechen laut Khorchide dem koranischen Gottesbild.
"Die Eigenschaft Gottes, mit der Gott sich im Koran am häufigsten beschreibt, ist Barmherzigkeit." Kein Wunder sei es deshalb, dass 113 von 114 Koransuren mit der Wendung "Im Namen Gottes, des Allerbarmers des Barmherzigen" beginnen.
"Im Koran stellt sich Gott selbst als der absolut Barmherzige vor, der die Menschen dazu einlädt, an seiner Liebe und Barmherzigkeit teilzuhaben", sagte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Gott will die Beziehung zu uns Menschen nicht als Herr-Knecht-Beziehung gestalten, sondern als Freundschaftsbeziehung, ja Liebesbeziehung."
Irgendwann wird die Hölle leer sein
Die Hölle ist nach Ansicht des Soziologen, Islamwissenschaftlers und Religionspädagogen kein brennendes Feuer oder Ort der Rache Gottes, sondern steht symbolisch für die Konfrontation mit den eigenen Verfehlungen. Irgendwann wird die Hölle leer sein, ist er überzeugt, weil Gott letztendlich alle in seine Gemeinschaft aufnehmen will, die seine Liebe und Barmherzigkeit bejahen. Wenn Gott mit Strafe droht, dann sei dies auch Teil seiner Barmherzigkeit, weil sie ein pädagogisches Ziel habe, nämlich dass der Mensch sich vervollkommne.
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Die Scharia ist laut Khorchide ein menschliches Konstrukt. "Die Scharia ist die Summe der Bemühungen von Gelehrten, den Islam zu interpretieren. Sie ist nicht gottgegeben." Manche wollten aus dem Islam ein juristisches Schema machen, das möglichst alle Lebensbereiche erfasst. "Wenn man bedenkt, dass von den 6.236 koranischen Versen gerade 80 juristische Aussagen machen, die die Gesellschaftsordnung betreffen, wird es schwierig sein, daraus ein juristisches Schema zu entwerfen, oder im Koran ein Gesetzesbuch oder im Islam eine Gesetzesreligion zu sehen."
Und diese 80 juristischen Verse, in denen es beispielsweise um Körperstrafen geht, oder um die mindere Stellung der Frau vor Gericht oder in Erbangelegenheiten, sollten in ihrem historischen Kontext gelesen werden, schlägt der islamische Theologe vor. Die juristischen Verse seien im 8. Jahrhundert revolutionär gewesen, aber unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel und seien heute ein Rückschritt und ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Nur mit einer historischen Kontextualisierung sei es Muslimen heutzutage möglich, sich nicht entweder für eine "antikoranische Modernisierung" oder eine "anti-moderne Korantreue" entscheiden zu müssen.
Der allbarmherzige Gott im Zentrum
Theologische Aussagen wie der Monotheismus, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, Gerechtigkeit, Freiheit und soziale Verantwortung seien dagegen unveränderliche Normen, die bis heute gelten. Auch religiöse Rituale wie das Gebet oder das Fasten unterliegen nicht dem gesellschaftlichen Wandel und seien deshalb unveränderlich. "Sie sind jedoch kein Selbstzweck - man soll nicht beten, um gebetet zu haben - sondern ein Mittel auf dem Weg der spirituellen und ethischen Vervollkommnung des Menschen."
Außerdem müsse beim Lesen des Korans darauf geachtet werden, ob Mohammed als Gesandter Gottes spricht oder als Staatsoberhaupt. Vorbildcharakter habe der islamische Prophet laut Khorchide nur als Gesandter.
Die menschenfeindliche Theologie, die Khorchide aus Saudi Arabien kennt, hat seiner Einschätzung nach längst auch Europa erreicht. Junge Menschen, die in Europa aufwachsen, vertreten saudisch-salafistische Positionen. Einige dieser Positionen hätten sich auch schon in andere islamische Kreise verbreitet, die als "konservativ" bezeichnet werden, kritisiert Khorchide. In der islamischen Welt ebenso wie in Deutschland werde deshalb eine Theologie benötigt, die die koranische Vorstellung vom allbarmherzigen Gott ins Zentrum stellt und an der Liebe und Barmherzigkeit die koranischen Aussagen misst.