Etwa alle acht Wochen hält Stephanie Hecke, Pfarrerin bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva), eine Trauerfeier für Menschen, die in Stuttgart ohne Angehörige verstorben sind. "Das waren im letzten Jahr etwa 500 oder 600 Personen." Für sie gibt es auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof ein Gräberfeld, das - auch dank starkem kirchlichem Engagement - von der Stadt Stuttgart in diesem Jahr neu gestaltet und mit Namenstafeln versehen wurde.
Die Idee zum Beratungsprojekt "Würdevolle Bestattung" ist in der Pfarrerin jahrelang gereift, bei ihrem Vorstandsvorsitzenden Klaus Käpplinger rannte sie damit offene Türen ein. "Wenn es keine Angehörigen gibt, sorgt das Amt für öffentliche Ordnung für eine angeordnete Bestattung", sagt Hecke. Menschen, die dem Verstorbenen nahestanden, hätten darauf keinen Einfluss, wenn sie keine Blutsverwandten seien. "Da hat jemand Jahrzehnte mit seinen Nachbarn in einer engen Hausgemeinschaft gelebt, doch nun bekommen sie keinerlei Informationen zu Todesursache und Todeszeitpunkt und können nichts tun. Dazu ist eine Verfügung nötig."
Die Evangelische Gesellschaft Stuttgart (eva) hat eine Vorlage für eine solche Verfügung erstellt. Erläutert wird diese von Nicole Bornkessel. Die 48-jährige Bestatterin wurde von der eva als Projektleiterin angestellt. Die aus Spenden und Eigenmitteln finanzierte Beratung ist kostenlos und geschieht ohne Gewinnerzielungsabsicht. In der Vorlage könne eingetragen werden, wer sich nach dem Tod um die Bestattung kümmern soll. Dies kann auch ein Sozialarbeiter der eva sein.
"Mir ist es ein Herzensanliegen, eine Stimme für die Verstorbenen zu sein, die nicht mehr für sich selbst sprechen können", sagt Bornkessel. "Ich möchte, dass die Wünsche der Menschen für ihre Bestattung umgesetzt werden."
Zu den Ersten, die sich von Bornkessel beraten lassen, zählt der 60-jährige Dieter Hüttner. Er ist gesundheitlich stark angeschlagen und hat zu seiner Familie keinen Kontakt mehr. "Wenn ich jetzt sterben würde, wäre niemand für mich da." Im Gespräch beschreibt er, was er sich für seine Bestattung wünscht. "Auf gar keinen Fall traditionell", sagt er. In der freien Natur, unter einem Baum, das könnte er sich als Begräbnisort am besten vorstellen. Für eine kurze Trauerfeier wünscht er sich fröhliche Musik. "Bitte keinen Herz-Schmerz-Song." Wer zu dieser Feier eingeladen werden soll, kann er ebenfalls festlegen.
"Das Thema wird gesellschaftlich immer relevanter", sagt Hecke. "Immer mehr Menschen leben nicht mehr in traditionellen Familien." Die Einsamkeit von Menschen könne mit Armut verbunden sein, sagt Hecke, müsse es aber nicht. Die kennt einen Fall, in dem eine Bestattung vorab komplett bezahlt war, der Wille der Verstorbenen aber leider nicht berücksichtigt wurde, es gab stattdessen eine angeordnete Bestattung. Damit eine Verfügung zuverlässig umgesetzt wird, kooperiert die eva mit Bestattungsunternehmen, sorgt auch dort für die nötige Hinterlegung.
Es gibt Fälle, in denen zwar Angehörige da sind, aber jemand auf keinen Fall möchte, dass diese sich nach seinem Tod um die Bestattung kümmern. Herrscht in der Familie Streit, kann die Würde des Verstorbenen sehr gefährdet sein.
Pfarrerin Hecke hat so manche drastische Äußerung gehört, die nicht öffentlich zitierfähig sei. Nun aber freut sie sich, dass eine wichtige Lücke geschlossen ist. Schon bisher habe die eva Beratung für das ganze Leben angeboten: von der Schwangerenberatung über die Sucht bis ins Alter. Doch die Begleitung älterer Menschen habe mit dem Tod geendet. Gerade dann bestehe die Gefahr, dass die Würde verletzt werde: "Wenn ein Mensch gestorben ist, ist er zu hundert Prozent ausgeliefert."
"Im Moment habe ich nur die eva", sagt Dieter Hüttner nach dem ersten Beratungsgespräch. "Ich habe das Gefühl, ich bin hier gut aufgehoben."