Die Welt von Thomas Berthold hängt voller Tomaten: gelbe, rote, grüngestreifte, auberginen- und schokoladenfarbige. Mehr als 100 Pflanzen hat der evangelische Pfarrer dieses Jahr in Grafenwöhr gezüchtet. Sanft schmiegen sich die Stöcke an die windgeschützten Wände des Pfarrhauses. Seine Tomaten gedeihen zwischen Krieg und Frieden.
Gleich neben dem Pfarrgarten liegt mit mehr als 230 Quadratkilometern der größte militärische Truppenübungsplatz Europas. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Grafenwöhr US-Truppen stationiert. "Auf 6.000 Einheimische kommen heute etwa 10.000 Soldatinnen und Soldaten", sagt Berthold. Als er vor zwei Jahren die Pfarrstelle in Grafenwöhr antrat, habe er sich an die Detonationen erst gewöhnen müssen: "Heute höre ich die kaum noch."
Derzeit trainieren in Grafenwöhr auch rund 1.000 ukrainische Soldaten. Im Schnelldurchgang sollen sie lernen, mit komplexen Waffensystemen wie dem "Abrams"-Panzer umzugehen. Vor dem Eingangstor zur Garnison stehen bewaffnete Wachposten. Die Tomaten von Pfarrer Berthold schützt ein kleiner Gartenzaun.
Kinderstimmen sind vom benachbarten Kindergarten "Kunterbunt" zu hören. Wenige Meter daneben steht die Michaelskirche, eine rote Holzkirche im Schwedenstil. Idylle wie in Bullerbü, wenn der Militärzaun nicht wäre. Manchmal bei besonders schwerem Geschütz wackelt der Boden. "Dann suchen sogar die Kinder Schutz bei ihren Erzieherinnen", sagt er. Während Berthold seine Tomaten pflegt, stehen Kinder am Zaun und beobachten ihn: "Was machst du da?" Berthold erklärt, dass das Tomaten sind, die am Strauch wachsen und nicht im Supermarkt.
Diversität ist auch für Tomaten wichtig
Vor 15 Jahren hat der 56-Jährige seine Leidenschaft für die Paradiesäpfel entdeckt. Damals war er noch Pfarrer im oberfränkischen Helmbrechts (Kreis Hof). Er stieß auf einen Verein, der sich um den Erhalt alter Gemüsesorten kümmerte: "Wir kriegen in den Supermärkten ganz viele Hybridsachen, die auf Ertrag und Transportfähigkeit gezüchtet sind. Die vielen alten Sachen, die jetzt wieder gefragt sind, weil die Diversität wichtig ist, sind auf die Seite gedrückt worden."
Berthold machte sich auf die Suche nach alten Sorten. "Man kann sie über Vereine, Tauschbörsen oder online bestellen", sagt er. Heuer war er zum ersten Mal auf einem Saatgut-Festival in Oberviechtach: "Da waren irrsinnig viele Leute. Man glaubt es kaum, aber die Szene ist nicht unerheblich."
Spätestens am dritten Sonntag im März wird Berthold unruhig. Da sollten die Tomatensamen ausgesät werden. Bei ihm kommen sie in kleine Töpfchen. "Dann wird geguckt, was so wächst." Nur eine bestimmte Anzahl von Pflanzen wird vermehrt. Wenn sie die richtige Größe haben, kommen sie ins Freiland. Ein Gewächshaus sucht man bei ihm vergebens.
Mehr als 30 Sorten und insgesamt etwa 100 Pflanzen hat er heuer gezogen. "Ich bin schon für verrückt erklärt worden", schmunzelt er. Einige sind auch von selbst aufgegangen, "das hängt immer davon ab, was der Herrgott so wachsen lässt", sagt er und streicht leicht über die Pflanzen, die den so typischen, aromatischen Duft der Nachtschattengewächse verströmen: "Manchmal riechen meine Hände noch am Abend. Da muss ich sie schon ordentlich waschen, bis der Duft abgeht."
"Ich bin schon für verrückt erklärt worden"
Berthold pickt sich eine Tomate vom Strauch. Der Geschmack der Früchte sei ganz unterschiedlich: süß, säuerlich, manchmal sogar ein bisschen bitter - oder eben zuckersüß, wie der von den klitzekleinen Johannisbeer-Tomaten: "Die gehören für mich zu den Highlights." Oder die birnenförmigen Cherry Bell Yellow: "Die sind einfach super. Das sind Snacks, da brauchst du keine Schokolade mehr." Aber er mag auch die Fleischtomaten und zeigt eine Giant Green Zebra, hellgrün und dunkelgrün gestreift. "Die schmeckt eher zitronig-säuerlich. Da ein Bauernbrot mit Butter und Tomate obendrauf. Herrlich."
Die Vielfalt der alten Sorten kennt bei ihm keine Grenzen. Zigtausend gibt es weltweit. "Die könnte ich hier nicht alle ziehen, aber spannend wäre es schon", sagt der Theologe, der kein gelernter Gärtner ist, aber aus einer Pfarrfamilie stammt, die immer einen großen Garten hatte. Jedes Jahr erntet Berthold um die 40 Kilogramm Tomaten. Das ist sein Beitrag zum Erhalt der Schöpfung. "Für mich ist es wichtig, wie wir damit umgehen, was Gott uns zur Verfügung stellt."