Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnt davor, die geplante Kindergrundsicherung klein zu sparen. Damit riskiere Deutschland hohe Folgekosten, sagte er am Freitag in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens zu den finanziellen Auswirkungen von Kinderarmut und Kindergrundsicherung: "Wer bei den Kindern spart, zahlt später drauf." Gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, als Erwachsene ihren Lebensunterhalt zu verdienen, als Kinder, die mit staatlichen Hilfen groß werden. Kinderarmut koste den Staat und damit die Bevölkerung langfristig das Vielfache einer auskömmlichen Existenzsicherung für alle Kinder, erklärte Lilie.
Der Diakonie-Chef stellte gemeinsam mit DIW-Präsident Marcel Fratzscher ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie vor. Danach werden die Kosten der verfestigten Kinderarmut in Deutschland in einer breit angelegten OECD-Studie von 2022 auf jährlich 110 bis 120 Milliarden Euro geschätzt. Das wäre das Zehnfache der Summe von zwölf Milliarden Euro jährlich, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) anfangs für die Einführung einer Kindergrundsicherung verlangt hatte.
"Eine der klügsten Investitionen einer Regierung"
Eine genaue Berechnung der Folgekosten von Armut sei schwierig, da die Kosten langfristig anfielen, heißt es in der DIW-Studie. Vielfach belegt sei aber, dass die gesundheitlichen Folgen von Armut und die Auswirkungen einer schlechteren Schul- und Berufsausbildung zu hohen Mehrausgaben im Gesundheitswesen, weniger Fachkräften und mehr Sozialleistungen führen. Für DIW-Chef Marcel Fratzscher ist daher eine Kindergrundsicherung "eine der klügsten Investitionen einer Regierung". Wenn die Armut bekämpft werde, profitierten die Betroffenen, die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Das DIW-Team berechnete drei Szenarien für die Einführung einer Kindergrundsicherung. Mit der stärksten angenommenen Erhöhung des Satzes für armutsgefährdete Kinder um 100 Euro im Monat plus der geplanten Verwaltungsvereinfachung würden sich die künftigen Ausgaben auf rund 5,5 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Mit dieser Summe würde der Staat zielgenau die Einkommensarmut bei Alleinerziehenden und Paaren mit drei und mehr Kindern senken, wo die Armutsquoten mit knapp 40 Prozent bei den Alleinerziehenden am höchsten sind. Um allen Kindern das im Steuerrecht festgelegte Existenzminimum zu garantieren, sind der Diakonie und dem Bündnis Kindergrundsicherung zufolge mindestens 20 Milliarden Euro im Jahr notwendig.
Im Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung hat Ministerin Paus ihre Forderungen inzwischen auf bis zu sieben Milliarden Euro reduziert. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln. Die beiden Minister verhandeln seit Monaten über einen Kompromiss. Zuletzt brach der Streit anlässlich eines Steuersenkungsprogramms für die Wirtschaft erneut offen aus.
In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen zusammengefasst werden. Sie ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Ampel. Grüne und SPD wollen die Zahlungen an arme Familien auch erhöhen, während die FDP allein durch Verwaltungsvereinfachungen mehr Familien erreichen will. Wegen der hohen bürokratischen Hürden nehmen aktuell viele Familien ihre Ansprüche nicht wahr, das gilt besonders für den Kinderzuschlag, den nur 35 Prozent der Berechtigten beziehen.
Der Studie zufolge ist zwischen 2010 und 2021 der Anteil armutsgefährdeter Kinder von rund 18 Prozent auf knapp 21 Prozent gestiegen und dem Statistischen Bundesamt zufolge in diesem Jahr noch weiter auf rund 24 Prozent der Minderjährigen. Rund zwei Millionen Kinder beziehen Bürgergeld. Als armutsgefährdet gilt ein Haushalt, dessen Einkommen niedriger ist als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte.