Zu den Held:innen seiner Filme gehören: eine Altenpflegerin, ein LKW-Fahrer, eine Rentnerin, die noch einmal die große Liebe findet, ein Imbissbudenbesitzer, eine türkischstämmige Hausfrau, die für ihren Sohn kämpft, eine Parfümverkäuferin. Es ist ein ganz anderes Personal als sonst oft im deutschen Film. Der Regisseur Andreas Dresen, der am 16. August 60 Jahre alt wird, erzählt lebensnahe Geschichten. Seine Held:innen sind Menschen, die um die Ecke wohnen könnten und uns manchmal doch fremd sind.
Dresen ist der große Realist des deutschen Kinos - und mit dieser Haltung überaus erfolgreich. Unzählige Auszeichnungen hat er bekommen, für das Krebsdrama "Halt auf freier Strecke" sogar auf den Filmfestspielen von Cannes, wohin es nur selten ein deutscher Film schafft.
Seine Filme haben mitunter einen dokumentarischen Look, besonders die, in denen viel improvisiert wurde. Das verbindet ihn mit dem britischen Regisseur Ken Loach, ebenfalls ein Meister der sozialen Beobachtung. Von diesem sagte Dresen einmal: Er schaue mit Liebe und Wärme auf die Menschen, "mit einem solidarischen Blick auf die Verlierer der Gesellschaft". Das trifft auch auf die Filme von Andreas Dresen zu.
Karriere in der DDR gestartet
Er gehört, neben Andreas Kleinert und Bernd Boehlich, zu den wenigen Regisseuren, die ihre Karriere in der DDR begonnen oder dort studiert haben und später in der vereinten Bundesrepublik reüssieren konnten. Geboren 1963 in Gera, schloss er 1991 das Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg ab.
Im selben Jahr begann er auch die Dreharbeiten zu seinem ersten Kinospielfilm "Stilles Land", in dem ein Theaterregisseur in der Wendezeit nach Anklam kommt. Diese Umbruchsituation hat Dresen, der auch am Theater inszeniert, später noch einmal aufgegriffen: in seinem fulminanten "Als wir träumten" (2015) nach dem Debütroman von Clemens Meyer. Der Film folgt einer Clique von Jugendlichen in Leipzig in den frühen 90er Jahren. Es sind fünf Jungs, die sich zudröhnen und mit Neonazis auseinandersetzen müssen - raues Straßenkino.
Bekannt wurde Dresen durch sein weitgehend improvisiert inszeniertes Werk "Nachtgestalten", das 1999 im Wettbewerb der Berlinale lief: drei Geschichten aus einem kalten Berlin, ohne Kitsch und unsentimental, in denen es um Verantwortung und verlorene Illusionen geht. Auch diesen Film zeichnet ein harter Realismus aus, eingefangen in grobkörnigen Bildern.
Die Methode der Improvisation trieb er in "Halbe Treppe" aus dem Jahr 2002 auf die Spitze. Er ist einer von Dresens bekanntesten Filmen: Gedreht wurde mit einer kleinen Videokamera in Frankfurt/Oder; der Schauspieler Axel Prahl verkauft Wurst und Pommes in der Imbissbude, die dem Film den Namen gab. "Halbe Treppe" hatte 440.000 Besucher im Kino - ein Riesenerfolg für einen eher kleinen Film. Er bewies, dass ein lebensnahes Kino, eine filmische Suche nach der Wirklichkeit, auch eine Chance beim Publikum hat.
Sympathie - nicht nur für seine Film-Figuren
Denn neben der Sympathie des Regisseurs für seine Figuren, die man in jedem Dresen-Film spürt, gehört auch immer eine Portion Humor zu seiner Handschrift. Ohne eine gewisse Leichtigkeit hätte er Themen wie Alterssexualität in "Wolke 9" (2009) oder das langsame Sterben an einem Hirntumor in "Halt auf freier Strecke" (2011) auch nicht mit Bravour bewältigen können.
Er zeichnet seine Filmfiguren immer mit Ambivalenz. Strahlende Helden oder eiskalte Bösewichte gibt es nicht in seinem Kosmos, ebenso wenig sind seine Filme etwa Mitleid heischende Sozialstudien.
Seine wahrscheinlich ambivalenteste und vielschichtigste Figur hat Dresen mit "Gundermann" (2018) vorgestellt, jenem Baggerfahrer im Braunkohletagebau der DDR, der sich als Kommunist verstand und gleichzeitig als Kritiker des real existierenden Sozialismus. Seine Lieder waren Kult in der DDR, und nicht nur mit ihnen eckte er immer wieder an. Gleichzeitig aber arbeitete er, wie er selbst später zugab, als Stasi-Spitzel: ein eigenwilliger Mensch voller Widersprüche.
Laienrichter und Musiker
Dresen, der in Potsdam lebt, wurde 2012 zum ehrenamtlichen Laienrichter am Potsdamer Landesverfassungsgericht gewählt. Und er tourt mit dem Darsteller des Sängers Gundermann, Alexander Scheer, und einer Band durch Deutschland. Im August kann man die Musiker und ihre Gundermann-Lieder unter anderem in Berlin, Schwedt und Heringsdorf hören.
Alexander Scheer spielte auch in Dresens bislang letztem Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" aus dem Jahr 2022 mit. Er war Bernhard Docke, der Anwalt der Mutter, die in einem jahrelangen Gerichtsverfahren ihren unrechtmäßig in Guantánamo festgehaltenen Sohn Murat frei und gegen George W. Bush Recht bekommt.