"Normal wäre es, wenn 60 bis 70 Prozent in islamischer Religion unterrichtet würden", sagte Bülent Ucar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Er erinnerte daran, dass die ehemalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder schon vor 20 Jahren angekündigt hatte, deutschlandweit den islamischen Religionsunterricht einzuführen. "Dass bisher so wenig passiert ist, empfinde ich als skandalös." Die eigentlich verfassungsrechtlich verbriefte Wahlfreiheit werde den muslimischen Schülern vorenthalten.
Das liege nicht etwa daran, dass keine Religionslehrer zur Verfügung stünden, erläuterte der Professor für islamische Theologie. "Im Gegenteil, unsere Absolventen finden keine Stellen, weil die Kultusministerien in den Ländern keine schaffen." Viele Schulleiter wollten keinen islamischen Religionsunterricht. Sie sähen den Religionsunterricht allgemein als Auslaufmodell. Zudem fürchteten sie um die Fächer Werte und Normen oder Ethik, die derzeit mangels Alternative häufig von muslimischen Schülern besucht würden.
Nach aktuellen Daten des Mediendienstes Integration ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler im islamischen Religionsunterricht in Deutschland innerhalb von drei Jahren von rund 60.000 auf derzeit etwa 69.000 gewachsen. In den fünf östlichen Bundesländern wird kein islamischer Religionsunterricht angeboten.
Ucar betonte, langfristig sehe auch er angesichts der fortschreitenden Säkularisierung den Religionsunterricht in Gefahr, auch wenn er in Artikel 7 des Grundgesetzes noch Verfassungsrang genieße. Der Druck derjenigen, die ihn abschaffen wollten, werde immer größer. Auch die christlichen Kirchen würden ihren Religionsunterricht nicht mehr aufrechterhalten können.
Deshalb müssten die großen Religionsgemeinschaften in Deutschland jetzt gemeinsam ein Konzept für einen interreligiösen Unterricht entwickeln, forderte der Theologe: "Wenn wir zu lange warten, werden wir in 20 Jahren keine Gestaltungsspielräume mehr haben."