Dürfen Künstlerinnen auf offener Bühne rassistische Begriffe verwenden, wenn sie selbst davon betroffen sind? Dürfen sie vor einem weißen Publikum das N- und das Z-Wort aussprechen, weil es das Programm plastischer und drastischer macht? Oder reproduzieren sie damit Begriffe, die aus dem Sprachgebrauch verschwinden sollen? Das Museum der bildenden Künste in Leipzig (MdbK) suchte darauf am Samstag nach Antworten.
Mitte Mai hatten die beiden Künstlerinnen Bibiana Malay und Grit Díaz de Arce bei der Eröffnung der MdbK-Ausstellung "Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland" über migrantische Kunst in der DDR Auszüge aus ihrem Programm "The Dark Side of the GDR" (deutsch: "Die dunkle Seite der DDR") vorgetragen. Beide wurden Ende der 1960er Jahre in Ost-Berlin geboren und haben afrikanische Väter, die damals in der DDR studierten. In ihrem szenischen Programm zitieren sie unter anderem rassistische Reime aus einem DDR-Kinderbuch und singen ein altes deutsches Volkslied, welches das Leben von Roma und Sinti herabwürdigt. Dabei sprechen sie das N- und Z-Wort aus.
In der Folge verließen einige Zuschauerinnen und Zuschauer die Veranstaltung. Es hagelte heftige Kritik von Schwarzen Aktivistinnen an dem Programm. Kooperationspartnerinnen und -partner, die an dem Ausstellungsprojekt beteiligt waren, kündigten ihre Mitarbeit auf.
Das Museum zog die Notbremse und sagte eine weitere für Anfang Juni geplante Veranstaltung mit der Performance von Malay und Díaz de Arce zunächst ab. Erst sollte mit allen Beteiligten ein Dialog geführt, dann die Veranstaltung in einem geeigneten Rahmen nachgeholt werden, hieß es.
Zweiter Anlauf mit Warnung und Moderation
Beim erneuten Anlauf am Samstag entschuldigte sich Museumsdirektor Stefan Weppelmann zunächst bei allen Beteiligten. "Wir haben daraus gelernt", betonte er. Das Museum hatte eine umfängliche Inhaltswarnung in der Veranstaltungsankündigung platziert und die Soziologin und Schwarze Aktivistin Katharina Warda als Moderatorin für eine anschließende Diskussionsrunde engagiert.
In ihrer Performance schildern Bibiana Malay und Grit Díaz de Arce anhand authentischer Zeugnisse wie Stasi-Akten, Tagebuch-Aufzeichnungen, Briefen und skurrilen Episoden den Alltagsrassismus, dem sie als Kinder und Jugendliche permanent ausgesetzt waren. Beide erlebten immer wieder Ausgrenzungen, subtil und nicht subtil. "Wir konnten noch so schnoddrig berlinern, wir gehörten irgendwie nicht richtig dazu", sagte Díaz de Arce.
Künstlerinnen erzählen Rassismus spürbar
Es gab harte Schulhof-Hänseleien, in denen das N-Wort fiel, es gab aber auch Bemerkungen wie "Hast Du Deine Augen mit schwarzer Schuhcreme geputzt?" oder "Ah, ein Besatzerkind!". Malay, die später an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Rostock studierte, wurde gesagt, mit dieser Hautfarbe müsse sie auf der Bühne dreimal besser sein als die anderen. Gesangsstudentin Díaz de Arce bekam an der Dresdner Musikhochschule zu hören, ihre Stimme habe nicht die notwendige, nordeuropäische Klangfarbe. In den Prüfungen wurde sie deshalb schlechter bewertet.
Auch zu hören bekam sie Sprüche wie "Du bist so heiß wie ein Vulkan", oder "Du bist eine Sexbombe". "Das waren typische Beispiele von sogenanntem positiven Rassismus", sagt sie heute. Nicht böse gemeint, aber trotzdem rassistisch. Auch das habe sie sehr belastet.
Moderatorin Katharina Warda dankte den beiden nach dem Auftritt dafür, dass sie in der Performance Rassismus so spürbar gemacht haben. Gleichzeitig sei es für sie aber ein "Durchleiden" gewesen, wegen der Verwendung der rassistischen Begriffe in den Texten und Liedern, räumte sie ein und fragte: "Könnt Ihr die Kritik daran verstehen?"
Sie als Betroffene dürften die Worte "sowieso" benutzen, betonte Bibiana Malay: "Und wir wollen sie auch im künstlerischen Kontext benutzen dürfen." Viele der verbannten Begriffe seien damals anders bewertet worden, viele Bemerkungen sicher nicht böse gemeint gewesen: "Heute haben wir einen anderen Blick darauf - Gott sei Dank." Grit Díaz de Arce zitierte eine Frau, die als Roma den Holocaust überlebt hatte und die zur Verwendung des Z-Wortes zu ihr gesagt habe: "Es kommt immer darauf an, wer es sagt und wie er es sagt."
Anders als im Mai ging der Abend ohne Buh-Rufe und harte Empörung über die Bühne. Aber es gibt weiter großen Redebedarf. Museumsdirektor Weppelmann kündigte an, dass es im Dezember eine erneute Veranstaltung zu Rassismus und Sprache geben wird, in der weitere Betroffene ihre Perspektiven schildern: "Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass wir von einer Normalität der Mehrheitsgesellschaft ausgehen."