Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), das heute vor fünfzig Jahren begann, hat ganze Arbeit geleistet. Die im Vatikan versammelten Bischöfe und ihre Helfer, darunter so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Hans Küng oder Joseph Ratzinger, erarbeiteten in relativ kurzer Zeit eine ganze Reihe von Dokumenten: von "Lumen gentium" (Licht der Völker) bis "Gaudium et spes" (Freude und Hoffnung), von "Unitatis redintegratio" (Wiederherstellung der Einheit) bis "Nostra aetate" (In unserer Zeit). Die Texte zu lesen, lohnt sich noch heute: Sie geben eindrucksvoll Zeugnis davon, woher die katholische Kirche des 20. Jahrhunderts kam und wohin sie wollte.
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Der damalige Papst Johannes XXIII. hat geschildert, die Eingebung zu der Versammlung sei ihm gekommen "wie eine Blume, die in einem unerwarteten Frühling blüht". Sein Ziel fasste er in dem wunderbaren Begriff "aggiornamento" zusammen, der sich nur blass mit "Verheutigung" übersetzen lässt: Die Kirche sollte sich innerlich wie äußerlich der gegenwärtigen Welt zuwenden, ohne ihren Glaubenskern aufzugeben. Sie öffnete sich für den ökumenischen Dialog, erkannte die Religionsfreiheit an, rief die Politik zur Abrüstung auf und relativierte sogar ihre bisherige Eigensicht als alleinseligmachende christliche Institution.
In der Konstitution "Lumen gentium" nahmen die Konzilsväter Abschied von der Formel, ausschließlich die katholische Kirche sei die Kirche Jesu Christi – fortan hieß es, dass diese in der katholischen Kirche subsistiere, also verwirklicht sei. Auch unter nichtkatholischen Christen gebe es "Elemente der Wahrheit und der Heiligung", hält der Text fest. Diese Veränderung der traditionellen Lehre war zugleich Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses: Auch die Papstkirche ist eine "ecclesia semper reformanda", so eine protestantische Formulierung - nicht eine nur gewordene, sondern eine werdende und daran wachsende Kirche.
Der katholische Ungehorsam
Am stärksten machte sich der Wandel, der mit dem Konzil verbunden war, in den katholischen Gemeinden bemerkbar. Die Liturgie wurde reformiert, die Volkssprache eingeführt, der Priester wandte sich den Gläubigen zu. Das Gemeinschaftsprinzip wurde zum Markenzeichen der Basis, auch wenn es mental wesentlich stärker verankert ist als institutionell. Der katholische Ungehorsam ist eine feste Größe, nicht nur in sexualmoralischen Fragen. Selbst die vielzitierte Benedikt-Jugend sieht im Papst einen bloßen Kompass - er gibt eine Richtung vor, der man nicht unbedingt folgen muss.
Blick in die Konzilsaula, den eigens für die Versammlung umgestalteten Petersdom. Foto: epd/Agenzia Romano Siciliani
Leicht übersehen wird diese fundamentale Veränderung von jenen, die nur auf den konservativen Benedikt XVI., den undurchsichtigen Vatikan und die unvermeidliche Amtskirche blicken. Sie sollten eher einen Blick auf die Basis riskieren. Nicht wenige unter den Nicht- und Nichtmehrkatholiken laden ihre Ablehnung zudem gerne mit Erfahrungen aus der vorkonziliaren Zeit auf, als habe es den Aufbruch der 1960er Jahre nie gegeben und als sei eine gewisse Papsttreue und Modernität von vornherein unvereinbar. Der katholische Komplex führt oft zu Abwehrreaktionen, die unterkomplex sind – hier passt das modische Wort einmal.
Lehmann gegen neues Konzil
Auch der Ruf nach einem Dritten Vatikanischen Konzil, wie er nun von Hans Küng oder Christoph Markschies erhoben wird, scheint eher wohlfeil als durchdacht zu sein. Themen gäbe es zwar genug: Zölibat, Frauenpriestertum, Hierarchie, Verhältnis von Staat und Kirche, Krieg und Frieden. Doch gerade die schmerzliche Distanz zwischen Amtskirche und Gemeindewirklichkeit könnte eine neue Versammlung nicht auflösen, sie würde eher Spaltungstendenzen verstärken. Die Kirche habe genug damit zu tun, das alte Konzil "weiter auszuschöpfen und fortzubezeugen", sagt zu Recht der Mainzer Kardinal Karl Lehmann. Was vor fünfzig Jahren begann, ist eine Blume, die erst noch blühen muss.
Bleibt die Frage, die der gegenwärtige Papst jüngst wieder aufgeworfen hat: Bedeutet das Zweite Vatikanische Konzil einen Bruch in der Kirchengeschichte oder steht es für Reform und Kontinuität? Diese Frage wird auch beim bevorstehenden Reformationsjubiläum im Mittelpunkt stehen: Ist die evangelische Kirche die katholische Kirche, die durch die Reformation gegangen ist, wie Altbischof Wolfgang Huber sagt, oder ist 1517 ein radikaler Schnitt? Das ist die ökumenische Gretchenfrage. Es wäre fatal, so der evangelische Theologe Werner Neuer, wenn die Protestanten bei den Erkenntnissen der Reformation stehenblieben, statt sie im Sinne einer "evangelischen Katholizität" weiterzudenken.