Jugendämter in Deutschland haben im vergangenen Jahr so viele Fälle von Kindeswohlgefährdungen festgestellt wie nie zuvor. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, stieg die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um rund vier Prozent auf fast 62.300 Kinder und Jugendliche, deren Wohlergehen durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt gefährdet war.
In weiteren 68.900 Fällen lag 2022 nach Einschätzung der Behörden zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein erzieherischer Hilfebedarf vor. Geprüft hatten die Jugendämter insgesamt 203.700 Hinweise, bei denen der Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen bestand. Das entspricht einem Plus von drei Prozent.
Auch langfristig hat sich die Zahl der Kindeswohlgefährdungen nach Angaben des Bundesamtes erhöht. Von 2012 bis 2022 betrug der Anstieg rund 24.000 Fälle beziehungsweise 63 Prozent. Eine abschließende Beurteilung, wie sich die Corona-Pandemie ausgewirkt hat, sei zurzeit noch schwierig, hieß es vonseiten des Bundesamtes.
Etwa vier von fünf aller von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Kinder waren im vergangenen Jahr jünger als 14 Jahre, etwa jedes zweite jünger als 8 Jahre. In den meisten Fällen von Kindeswohlgefährdung (59 Prozent) stellten die Behörden Anzeichen von Vernachlässigung fest. Bei mehr als einem Drittel (35 Prozent) gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen. In 27 Prozent der Fälle wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und bei fünf Prozent Anzeichen für sexuelle Gewalt gefunden. Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es darunter auch Fälle, bei denen die Betroffenen mehrere der Gefährdungen gleichzeitig durchlitten.
Fast ein Drittel (30 Prozent) der rund 203.700 Gefährdungseinschätzungen gingen im Jahr 2022 auf Polizei oder Justizbehörden zurück. Rund ein Viertel (23 Prozent) der Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung kamen aus der Bevölkerung, also von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder anonym. Dahinter folgten Einrichtungen und Dienste wie die Kinder- und Jugendhilfe (13 Prozent). Jeweils etwa ein Zehntel der Hinweise auf die Gefährdungssituation gaben die Schulen (elf Prozent) und die Familien selbst, also die betroffenen Minderjährigen (zwei Prozent) oder deren Eltern (sieben Prozent).