Die lange geplante Versöhnungsarbeit beginnt im Streit um Standortfragen. Im September vergangenen Jahres haben sich Bundesjugendministerin Lisa Paus (Grüne) und die israelische Bildungsministerin Yifat Shasha-Biton auf die Gründung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks geeinigt. Ziel sei es, den Austausch zwischen deutschen und israelischen Schülern auch mit Blick auf die gemeinsame Geschichte voranzutreiben.
Die Einzelheiten der Umsetzung werde eine gemeinsame Arbeitsgruppe erarbeiten, hieß es im September. Angedacht sei aber, auf das bereits bestehende Koordinierungszentrum ConAct für den Jugendaustausch in Deutschland und Israel zurückzugreifen. Das hat seit seiner Gründung im Jahr 2001 seinen Sitz in der Lutherstadt Wittenberg und arbeitet derzeit in Trägerschaft der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Auf eine Festlegung auf den Standort Wittenberg ist allerdings verzichtet worden.
Weswegen Thüringen bereits seinen Anspruch angemeldet hat. Der Freistaat sähe das Jugendwerk gern in Weimar. Anlässlich des Besuchs des israelischen Botschafters Ron Prosor im März in Thüringen warf Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) den Bewerbungs-Hut ganz offiziell in den Ring. Der Freistaat verfüge über eine 900-jährige Geschichte des Judentums und eine lebendige jüdische Gemeinde, so die Begründung. Auch ein Konzept für einen Neubau gemeinsam mit dem Thüringer Jugendherbergswerk existiere bereits. Prosor versprach, die Bewerbung Weimars nach Jerusalem zu übermitteln.
Unterstützung bekommt die Staatskanzlei von der Jüdischen Landesgemeinde in Thüringen. Deren Vorsitzender, Reinhard Schramm, hält Wittenberg schlicht für den falschen Ort für das Jugendwerk. Der Grund sei Martin Luther (1483-1546), sagt Schramm: "Der Reformator war ohne Zweifel eine bedeutende Persönlichkeit. Aber er war zugleich ein großer Antisemit." Und Luther sei allgegenwärtig in der Stadt, die bekanntlich auch seinen Namen trage. In seiner Ablehnung der Stadt als Sitz des Jugendwerks sei er sich mit anderen Juden in Deutschland einig, sagt Schramm.
Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hält dagegen an Wittenberg fest. "Bei den aktuellen Standortfragen wären neben der guten Verkehrsanbindung, der zentralen Lage und der Offenheit der Stadtgesellschaft sicherlich auch die Geschichte der Stadt und ihre Bedeutung für das Leid jüdischer Menschen zu beachten", erklärte die Landeskirche auf Anfrage. Mit der Standortentscheidung könnten durchaus auch Ausrufezeichen gegen historische oder aktuelle Formen des deutschen Antisemitismus gesetzt werden.
Die wirtschaftliche Bedeutung der bisherigen Koordinierungsstelle für Wittenberg ist dabei überschaubar. ConAct beschäftigt 18 Mitarbeitende. Der größte Teil der 2021 hauptsächlich aus dem Bundeshaushalt bereit gestellten Mittel in Höhe von rund 5,4 Millionen Euro wird für Zuschüsse für Jugendbegegnungen oder Informations- und Vernetzungstreffen eingesetzt. Wichtiger scheint die ideelle Bedeutung.
Die Entscheidung liegt beim Bundesjugendministerium als Träger der künftigen Einrichtung. Thüringens Kulturstaatssekretärin Tina Beer (Linke) habe auf ihrer Israel-Reise vor wenigen Wochen noch einmal für Weimar geworben, sagt eine Sprecherin der Staatskanzlei in Erfurt. Als früherer Ort schlimmster Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerate die Stadt ganz selbstverständlich in den Blick für eine Organisation, die sich aktiv für die Völkerverständigung einsetze.
Umgekehrt plädiert Sachsen-Anhalts Landesregierung für den Verbleib in Wittenberg: "ConAct arbeitet fachlich hoch anerkannt und erfolgreich von Wittenberg aus", sagt der Magdeburger Regierungssprecher Matthias Schuppe. Die Weiterentwicklung von ConAct biete die Möglichkeit, auf gewachsenen Beziehungen des Jugendaustauschs aufzubauen.