Für kaum ein Fachgebiet können sich Jung und Alt gleichermaßen derart begeistern wie für die Dinosaurier; und das nicht erst seit "Jurassic Park". Tatsächlich haben die Funde gigantischer Knochen schon in grauer Vorzeit die Fantasie angeregt; so sind unter anderem die Drachensagen entstanden. Für Griechen und Römer wiederum waren die riesigen Fossilien der Beweis für die Existenz ihrer Götter.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Stefan Schulze ist für "Terra X" einigen dieser Mythen auf den Grund gegangen; angesichts der wissenschaftlichen Belastbarkeit seiner Erkenntnisse wirkt der Titel "Dino-Jäger" fast schon reißerisch. Mit Hilfe diverser Fachleute, die meisten vom Berliner Museum für Naturkunde, in dem mit dem 23 Meter langen und 13 Meter hohen Giraffatitan brancai eins der größten montierten Dinosaurierskelette weltweit steht, räumt der Autor mit einigen Legenden auf, sorgt aber auch für überraschende Erkenntnisse: Wer hätte gedacht, dass die Nachfahren der Saurier mitten unter uns leben? Und damit sind nicht etwa Eidechsen gemeint, selbst wenn die wörtliche Übertragung des Begriffs Dinosaurier ("gewaltige Echse") dies nahelegt.
Fesselnd ist auch Schulzes Streifzug durch die Historie: Die seriöse wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Urzeitgiganten hat erst vor 200 Jahren begonnen. Die Faszination der Menschen war umgehend derart groß, dass bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in England der erste "Dino-Park" eröffnet wurde. Die dort ausgestellten Skulpturen entsprachen größtenteils dem Bild, das bis heute vorherrscht, allerdings mit einem Unterschied: Dass viele Saurierarten ein schillerndes Federkleid trugen, um die Weibchen zu beeindrucken, ist noch nicht allzu lange bekannt.
Weil einige der Dinoforscher in der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich waren, kann Schulze seinen Film um skurrile Fußnoten ergänzen. Zumindest insofern passt der Titel dann doch: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lieferten sich zwei amerikanische Paläontologen einen regelrechten Wettbewerb um die spektakulärsten Funde und somit um Ruhm und Ansehen. Es gelang ihnen zwar, mehrere Dutzend Saurierarten zu benennen, aber ihr "Knochenkrieg" war dennoch nicht nur zum Nutzen der Wissenschaft.
Die ergiebigste Fundstelle ist ohnehin deutschen Forschern zu verdanken, die vor gut hundert Jahren ein wahren Dino-Dorado in Tansania entdeckten; sie brauchten sich buchstäblich nur zu bücken, um die Knochen zu bergen. Ihre Beute war derart umfangreich, dass der Inhalt der entsprechenden Kisten bis heute nicht komplett untersucht ist.
Wie haben die Tiere ausgesehen, wie haben sie gelebt?, heißt es zu Beginn in dem vom Schauspieler Stefan Wilkening sehr angenehm vorgetragenen Kommentar. Diese Fragen beantwortet Schulze mit Hilfe durchaus sehenswerter digitaler Rekonstruktionen, aber eine dritte lässt er leider offen: Wie wäre es, echten Dinosauriern zu begegnen? Dazu ist es nur im Kino gekommen, schließlich gibt es neben der "Jurassic Park"-Reihe eine Vielzahl weiterer Leinwandabenteuer, in denen moderne Menschen auf Saurier Tiere treffen.
Als der Homo sapiens vor 300.000 Jahren erste Spuren in der Weltgeschichte hinterließ, waren die Dinos, bis dahin 170 Millionen Jahre lang die unangefochtene Krone der Schöpfung, bereits seit 65 Millionen Jahren ausgestorben. Nimmt man die Schöpfungsgeschichte beim Wort, lassen sich diese Zahlen lassen natürlich nicht mit dem Alten Testament in Einklang bringen: Laut Bibel-Rechnung hat Gott die Welt 4.000 Jahre vor Christi Geburt erschaffen.
Auch die Dino-Forschung hatte ihren Anteil daran, dass sich die Wissenschaft von der Religion emanzipierte: Es konnte schon im 19. Jahrhundert keinen Zweifel daran geben, dass die gefundenen Versteinerungen deutlich älter sein mussten. Zunächst schätzte man das Alter der Erde damals auf 75.000 Jahre, später ging man immerhin von 25 Millionen Jahren aus.
Es wäre interessant zu erfahren, was die streng bibelgläubigen "Kreationisten" von diesen Zahlen halten, aber das hätte wohl den Rahmen des Films gesprengt: Die Fundamentalisten glauben, die Saurier seien ausgestorben, weil auf der Arche Noah kein Platz für sie war. Schulze hat dank der modernen Wissenschaft genügend andere Facetten zu bieten. Unter anderem vermittelt er mit Hilfe eines Tierstimmenarchivs, wie das aus dem Kino bekannte donnernde Gebrüll des Tyrannosaurus Rex wohl wirklich geklungen hat. Die Kommunikation des Dino-Stars bewegte sich vermutlich in Frequenzen, die für den Menschen gar nicht wahrnehmbar sind; sein Grollen wäre nur als Druckwelle zu spüren gewesen.