Da war sie wieder – die Geste. Die linke Hand gespreizt, Daumen, kleiner Finger an Ohr und Mund. Die Rechte zeigt mit dem Zeigefinger nach oben. Schon möglich, dass sich diese Jubelgeste ins kulturelle Fußballgedächtnis einbrennt.
Alexandra Popp hatte zum deutschen Auftakt der Frauen-Fußball-WM gleich zweimal Grund zum "Nach Hause Telefonieren". Down Under zeigt sie nach oben. Für sie selbst ein Gruß an ihren verstorbenen Vater und an alle, die von "da oben" zugucken.
Schaut man im Himmel Fußball? Falls ja, hatte die deutsche Fankurve dort gleich noch vier Mal Gelegenheit, sich mit den Irdischen zu freuen. Und wer weiß, vielleicht kommen Himmel und Erde ja tatsächlich in den Wochen des Turniers besonders in Kontakt.
Ohne den Himmel zu vereinnahmen oder Fußball zu überhöhen, glaube ich, dass wir in der Kirche etwas von der Frauen-WM lernen können. Zunächst: Leidenschaft und echten Sportsgeist. Vom Sport können wir jubeln lernen, mehr Gefühle zu zeigen. Nicht, weil andere eine Niederlage einstecken, sondern weil beide Teams sich reinwerfen, sich anstrengen und nur gemeinsam das Spiel voranbringen. Dazu gehören für mich Fairplay und echtes Mitgefühl, auch bei Eigentoren der anderen.
Sich nahe kommen
Wichtig ist, dass das Spiel im Mittelpunkt steht. So möchte ich Kirche leben: leidenschaftlich, mit viel Gefühl, die "Anderen" immer mit im Blick – und bei all dem darauf vertrauen, dass Gott daraus etwas Gutes werden lässt.
Sodann: Mut zum Kontakt. Sport wie Glaube leben beide von echtem Kontakt, vom Berühren, Sich-Nahe-Kommen. Und daraus entsteht dann manchmal – so Gott will – scheinbar Unmögliches. Kontakt und Kontingenz, also das "Unverfügbare", haben übrigens dieselbe Wurzel (lat. contingere). Ich möchte Kirche so leben, dass wir Kontakt, wirkliche Berührung wagen.
Kritik äußern und umsetzen
Fußballspiele zeigen auch: Kontakt heißt dabei nicht Kuscheln, sondern echte Auseinandersetzung, Zweikampf. Übertragen auf Kirche etwa ein ehrliches Ringen darum, was gut und richtig ist, wie wir miteinander leben können.
Dazu gehört weiterhin eine offene Fehlerkultur. Kritik wird geäußert, diskutiert, im Idealfall umgesetzt.
Die Kommentatorin des Spiels meinte zwischendurch: "Jetzt hat jede mal einen Fehlpass gespielt, aber das bleibt ja auch nicht aus." Auch da blitzte etwas auf: Kurzer Blick zur Mitspielerin. Mal schnell den Ärger rauslassen, auch bei der Trainerin. Aber sofort wieder den positiven Kontakt suchen. Die andere mit einem Schulterschlag entlasten. Der Ball rollt ins Aus? Macht nichts: Der Einwurf bietet neue Möglichkeiten. Das Spiel geht weiter.
Mut zu klaren Ansagen
So kann das auch bei uns in der Kirche sein. Bei den vielen Veränderungen geht manchmal was daneben. Aber mit dem Fingerzeig zum Himmel lässt sich vieles verarbeiten, nicht nur beim Jubeln. Irren ist menschlich, Irrendürfen evangelisch.
Von den DFB-Frauen nehme ich schließlich mit, was Leitungsverantwortung heißt. Wer eins der vielen Features zur Vorbereitung gesehen hat, weiß um die Akribie, mit der das Trainerinnen-Team vorgeht. Auch da bleibt die Führungsebene immer im Kontakt: untereinander und mit den Spielerinnen. Der Teamgeist ist entscheidend. Das gilt auch für uns als Kirche. Gemeinsam eine Sache zu wollen, schweißt zusammen. Aber das ist kein Selbstläufer. Das braucht Arbeit, gerade von Menschen in verantwortlicher Position –in engem Kontakt zu denjenigen, die am Platz sind, und auch mit dem Mut zu klaren Ansagen.
Nicht die Klappe halten
Kirche kann das auch: gelungene Spielzüge, wie etwa die Tauf-Initiative der EKD in diesem Sommer zeigt. Dazu braucht es Ausdauer, ein Dran-Bleiben und Dran-Glauben. Und dass Überheblichkeit weder in Kirche noch im Sport angebracht sind, zeigt das Interview der Bundestrainerin nach dem Spiel: "Wir haben es ordentlich gemacht … Mit diesem Auftakt können wir zufrieden sein." Das wäre doch ein schöner Satz nach jedem Gottesdienst.
Das Leben "außerhalb" bleibt bei aller Konzentration auf das Spiel nicht außen vor. Die bunte Kapitäninnen-Binde etwa ist knapp am Tor vorbeigeschossen - zwar bunt, doch nur ein Zitat der diversen Zeichensprache. Doch die Frauen halten sich nicht die Klappe zu – Megan Rapinoe und andere sind politisch klar, auch abseits des Platzes. Menschen, die von einer Sache erfüllt sind, machen den Mund auf. Auch so sollten wir in der Kirche sein: Mund auf und Flagge zeigen, wenn es um die Rechte anderer geht.
Poppis Geste zum Himmel bleibt, auch wenn das Schiedsgericht im Videokeller noch rätselt: Hat sie das Handy gezückt oder hat sie den Hörer abgenommen, weil ein Anruf reinkam? Auf jeden Fall war Kontakt nach oben da. Ein Foul war das keinesfalls. Vielmehr ein Zeichen für das, wofür wir als Kirche stehen: Himmel und Erde berühren sich, Menschen treten in Kontakt und es entsteht Raum für Unverfügbares. Es ist gut, wenn wir auch als Glaubende sichtbar Zeichen setzen: den Hörer halten und mit dem Finger nach oben zeigen. Wir haben ja miteinander noch ein paar Spiele vor uns.