Pussy Riot: Verletzte Gefühle oder bodenlose Frechheit?
"Das unerschrockene Wort" - so lautet der Titel des Luther-Preises der Stadt Wittenberg. Pussy Riot, die russische Feministinnen-Punkband ist nominiert, weil sie unerschrocken in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale aufgetreten ist. Evangelische Theologen protestieren: Pussy Riot habe mit dem "Punk-Gebet" religiöse Gefühle verletzt und deswegen keinen Preis verdient. Doch die Stadt Wittengberg bleibt bei der Nominierung. Gut so!
10.10.2012
evangelisch.de

Pussy Riot sind ohne Erlaubnis in einer Kirche aufgetreten, haben von "göttlichem Dreck" gesungen und die Jungfrau Maria aufgefordert, Putin zu vertreiben. Ihre Performance nannten sie "Punk-Gebet". Doch eigentlich war das kein Gebet, sondern "sie wollten einen Knaller machen", da hat der Theologe Friedrich Schorlemmer Recht. Es war eine Protestaktion - und zwar eine kreative, freche und mutige. Protest, der gehört werden will, muss laut und provokativ sein. Offensichtlich ist Pussy Riot das gelungen.

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Aber darf der Protest religiöse Gefühle verletzen? Gläubige russisch-orthodoxe Christen werfen Pussy Riot das vor. Evangelische Theologen in Deutschland auch, zum Beispiel der Beauftragte der Landesbischöfin für Reformation und Ökumene in Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Siegfried Kasparick. Was hätte Martin Luther dazu gesagt - der Reformator, auf den der Luther-Preis der Stadt Wittenberg sich beruft? Luther war kein Mann der vorsichtigen Worte. Seine Schriften und Reden gegen die Machenschaften der mittelalterlichen Kirche waren sicherlich in den Augen tiefgläubiger Christen ebenfalls eine Verletzung ihrer religiösen Gefühle. Und doch brachte gerade Luthers sprachliche Ausdrucksweise die Reformation weiter.

Für Pussy Riot war es nicht wichtig, Rücksicht auf den Glauben von Christen zu nehmen. Genauso wenig war es aber ihr erstes Ziel, Gläubige anzugreifen. Religion ist überhaupt nicht ihr Thema. Das Punk-Gebet war eine freche, künstlerische Protestaktion gegen das Putin-Regime und dessen Verquickung mit der russisch-orthodoxen Kirche. Mit Religion hat es wenig zu tun - eher mit Anstand. Das Argument der "verletzten Gefühle" sollte nicht vorgeschoben werden, wenn man eigentlich "bodenlos frech" meint.

Solidarität sollte Sache der Kirche sein

"Musste der Auftritt denn unbedingt in einer Kirche stattfinden?" fragen Kritiker weiter. Musste nicht - konnte aber. Gerade eine Kirche ist aus evangelischer Sicht ein geeigneter Ort, um gegen Unterdrückung und Unfreiheit zu protestieren. Glaube und Freiheit gehören zusammen. Ob der lästerliche Text dieses "Punk-Gebetes" in eine Kirche passt, ist eher eine Frage von Geschmack und Empfindlichkeit.

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Pussy Riot verdient die Unterstützung von Demokraten und Kirchen - auch als Flaggschiff der russischen Opposition insgesamt. Solidarität mit denjenigen, die sich gegen Unterdrückung und Unfreiheit zur Wehr setzen (und die deswegen eingesperrt werden!) sollte ausdrücklich Sache der evangelischen Kirche sein.

Ja - Pussy Riot hat einen "Knaller" gelandet, hat wenig Rücksicht auf religiöse Gefühle genommen, war vielleicht geschmacklos und provokativ. Aber auch mutig und unerschrocken und deutlich. Das wollen einige Politiker in Wittenberg mit dem Luther-Preis anerkennen. Die Stadt tut gut daran, sich nicht vom Argument der "verletzten religiösen Gefühle" beirren zu lassen. Denn wer festen Glauben hat, braucht sich von Frechheit nicht verletzt zu fühlen.