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"Blick zum Himmel": Dort oben können wir Gott nicht finden
Nach dem "Blick auf die Welt von oben" drehen wir nun die Perspektive um: "Blick zum Himmel" heißt der evangelisch.de-Schwerpunkt in der zweiten Oktoberhälfte. Martin Luther macht den Anfang. Wenn der große Reformator den Himmel erforscht, stellt er fest: Gott ist dort oben nicht zu finden. Man brauche gar nicht erst hinaufzuklettern, meint Luther. Vielmehr kommt er bei seinem "Blick zum Himmel" wieder auf der Erde an - ganz unten.
17.10.2012
Hanns Leiner

Natürlich kennt Martin Luther die Rede davon, dass Gott im Himmel wohnt und thront und verwendet sie unbefangen und selbstverständlich viele Male. Dennoch ergeben sich hier sofort Fragen: Was meint Luther überhaupt mit Himmel? Denn die deutsche Sprache ist hier leider arm und nicht eindeutig: Sie hat nur ein und dasselbe Wort für den Weltraum und den Himmel Gottes. Das Englische differenziert hier viel besser. Es vermag zu unterscheiden zwischen sky und heaven.

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Dass man aber zwischen dem geschaffenen Himmel (dem Firmament, Himmelszelt, Weltall oder Weltraum) einerseits und dem Himmel Gottes andererseits unterscheiden muss, das wusste schon König Salomo, als er bei der Einweihung des Tempels zu Gott folgendermaßen betete: "Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen ..." (1. Kön 8,27). Auch Luther ist sich des Unterschieds bewusst. Dabei kommt es ihm natürlich besonders auf den heaven an, wenn er vom Himmel spricht. Das wird klar, wenn er den Anfang des Vater unser auslegt: Der Himmel Gottes ist kein Raum, irgendwo oben (in welcher Richtung wäre das denn?), sondern bezeichnet einfach die Wirklichkeit Gottes. Wo Gott wirkt, da ist der Himmel – im Grunde überall.

Das vermag Luther geradezu modern auszudrücken in der Auslegung der Himmelfahrt Christi: Wenn Christus erhöht wird und "zur Rechten Gottes" sitzt, so bekommt er damit Anteil an der göttlichen Weltherrschaft und Allgegenwart. Luther betont in diesem Sinn bei der Auseinandersetzung mit Zwingli (der sich Christus gleichsam im Himmel eingeschlossen dachte): "Dextra dei ubique est" (Die Rechte Gottes ist überall).

Luther: "Was über uns ist, ist nichts für uns"

Luther weiß auch um die Mahnung eines Engels an die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu: "Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel?" (Apg 1,11) Dort kann man den erhöhten Jesus nicht mehr sehen und finden, so wenig wie Gott selbst. Gott im Himmel ist für uns unsichtbar. Das galt schon für Mose, der die himmlische Herrlichkeit Gottes schauen wollte und nicht durfte (2. Mose 33).

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So wird der Himmel für uns Menschen zum Ausdruck für die Unsichtbarkeit, Erhabenheit, Macht, Größe und Jenseitigkeit, ja direkt Unzugänglichkeit Gottes. Dessen war sich kein anderer Theologe so schmerzlich bewusst wie Luther, der das zusammenfasste in der Aussage: Gott im Himmel ist für uns verborgen. Denn der ist in jeder Hinsicht über uns, wir sind ihm unterlegen und können ihn nicht fassen. Er weist uns in unsere Schranken und mahnt schon im Alten Bund: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken" (Jes 55,8-9). Das Handeln dieses verborgenen Gottes ist für uns nicht zu verstehen, es übersteigt unser Fassungsvermögen bei weitem. Er wirkt alles in allem, Heil und Unheil, Leben und Tod, Glück und Unglück: "Ich bin der HERR und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut" (Jes 45,8).

Dieser Gott ist uns fern, fremd und in seiner himmlischen Majestät verborgen. Mit diesem verborgenen Gott können wir keine Gemeinschaft haben, wir sollen auch nicht versuchen, ihn in seiner Verborgenheit zu erkennen und zu ihm in den Himmel zu dringen: "Die Vernunft kann ihr Licht hochhalten und rühmen, auch klug in weltlichen Sachen damit sein. Aber sie klettere beileibe nicht hinaus in den Himmel … Denn da ist die Vernunft ganz starblind ..." (Luther). Das bringt uns um den Verstand und um den Glauben. Der in seiner himmlischen Herrlichkeit verborgene Gott geht uns nichts an: "Was über uns ist, ist nichts für uns" (Luther). Das heißt: Im Himmel können wir Gott nicht finden.

Gott ist heruntergekommen auf die Erde

Aber wo oder wie dann? Darauf gibt Luther eine Antwort, in der er das Herzstück des christlichen Glaubens auf ganz einfache Weise verkündet: "Wer Gott erkennen und ohne Gefahr von Gott spekulieren will, der schau in die Krippe, heb unten an und lerne erstlich erkennen der Jungfrau Maria Sohn, geboren zu Bethlehem, so der Mutter im Schoß liegt und säugt oder am Kreuz hängt, danach wird er fein lernen, wer Gott sei. Solches wird alsdann nicht schrecklich, sondern aufs allerlieblichste und tröstlichste sein. Und hüte dich ja vor den hohen, fliegenden Gedanken, hinauf in den Himmel ohne diese Leiter zu klettern, nämlich den Herrn Christus in seiner Menschheit, wie ihn das Wort fein einfältig darstellt. Bei dem bleibe und laß dich von der Vernunft nicht davon abführen, so ergreifst du Gott recht." (Luther, Tischreden).

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Das heißt: Gott ist für uns nicht im Himmel zu finden, weil er nicht im Himmel seiner Verborgenheit geblieben ist. Er hat sich sehen lassen, er ist heruntergestiegen, heruntergekommen auf die Erde, ist Mensch geworden, er hat ein Angesicht angenommen, in dem wir ihn erkennen können, er ist unser Menschenbruder geworden, er hat unser Leben geführt, er ist hilflos, klein und schwach geworden und schließlich sogar unseren Tod gestorben. Durch ihn ist der Himmel auf die Erde gekommen, in ihm finden wir den (sonst) verborgenen Gott. Jetzt können wir wissen, wer und wie Gott ist, denn jetzt gilt für uns: So wie Jesus, so ist Gott. Oder mit dem Apostel Paulus: Wir sehen "die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi" (2. Kor 4,6). Das besingt Luther besonders schön in seinen Weihnachtsliedern: "Des sollt ihr alle fröhlich sein, dass Gott mit euch ist worden ein. Er ist geborn eur Fleisch und Blut, eur Bruder ist das ewig Gut" (Evangelisches Gesangbuch 25,3).

Gott in Christus zu erkennen, heißt in ihm die Liebe Gottes zu finden. Dagegen warnt Luther davor, in den Himmel hinaufklettern zu wollen und über Gott zu spekulieren. Das hält er für sehr gefährlich, das führt nicht zum Ziel, dabei verlieren wir uns in der luftigen Höhe und drohen geistig abzustürzen. Darum sollen wir uns vor "den hohen fliegenden Gedanken" hüten. Wir begegnen dem verborgenen Gott dort, wo der Himmel unten ist, in der Schwachheit Jesu Christi. So fand Luther in Jesus buchstäblich den Himmel auf Erden.