Vor allem in den ländlichen Regionen müssten die demokratischen Parteien der populistischen Strategie eine bürgernahe und nachvollziehbare Politik entgegensetzen. Für seine Kirche erwartet Kramer schwierige Diskussionen mit den neuen Funktionsträgern.
epd: Herr Landesbischof, was empfinden Sie persönlich angesichts der Wahlerfolge von Kandidaten der rechtsextremen AfD in Mitteldeutschland?
Friedrich Kramer: Ich hätte mir das Ergebnis anders gewünscht, aber es lag im Bereich des Erwartbaren. Ich bin daher nicht geschockt, aber besorgt. Die Wahlen sind von den Kandidaten der AfD klar gewonnen worden. Das heißt, dass das Konzept der neuen Rechten über die Normalisierung der Diskurse in politische Ämter zu gelangen, aufgegangen ist. Diese Strategie wird ja seit Jahren verfolgt und ist kein ostdeutsches Problem.
Wie ist dieser Strategie zu begegnen?
Kramer: Wir dürfen nicht in Panik verfallen. Auch nicht in Schockstarre. Aber wir müssen sehen, dass wir als Gesellschaft hier gefordert sind, gerade im ländlichen Bereich sich den Kontroversen zu stellen. Gerade die Parteien jenseits der AfD müssen sich hier stärker einbringen, dürfen sich nicht zurückziehen.
Glauben Sie, das sind Einzelfälle - oder wird die AfD an der Verwaltungsspitze in Mitteldeutschland zur Gewohnheit?
Kramer: Die AfD war vor kurzem bundesweit noch unter zehn Prozentpunkten, nun liegen sie in den Umfragen als zweitstärkste Partei bei 20 Prozent. Hier haben natürlich politische Entscheidungen wie etwa das Heizungsgesetz der neuen Rechten Auftrieb gegeben. Aber wir wissen auch aus Studien, dass die Einstellungen, die zum Wahlerfolg der AfD beigetragen haben, keine reine Protestwahl sind, sondern reale politische Meinungen verkörpern. In dieser Situation hilft es nicht, die Wähler der AfD alle als Nazis zu beschimpfen. Vertrauen lässt sich nur durch nüchterne, solide Politik zurückgewinnen, die nahe bei den Wählern stattfinden muss.
Eine Strategie war es ja, gemeinsam als Demokraten, den politisch sehr breiten Schulterschluss gegen die AfD zu suchen. Hat aber nicht geklappt...
Kramer: Es ist schon wichtig, über den eigenen Schatten zu springen und auch ungeliebte Koalitionen gegen die AfD zu bilden, um die Machtübernahme zu verhindern. Aber daneben muss eben auch - ganz wichtig - bis in die kleinsten Dörfer hinein eine zugewandte und bürgernahe Politik gemacht werden. Denn gerade in den kleinen, ländlichen Kommunen ist die AfD doch am stärksten.
Die EKM liebt ihre Gegner, muss mit ihnen aber nicht reden, sagten sie Ende vergangenen Jahres. Inwieweit ist diese Haltung noch aufrechtzuerhalten? Schließlich sind Kommunen immer auch Ansprechpartner für Kirchen.
Kramer: Ich rede mit jedem AfD-nahen Menschen, der das Gespräch und Seelsorge sucht. Das ist gar nicht die Frage, dass man nicht miteinander spricht. Sondern es geht um die Frage, an welcher Stelle reden wir wie und in welchem öffentlichen Forum. Und hier war die Linie: Wir werden mit den Spitzen dieser Partei keine offiziellen Gespräche führen. Und dabei wird es auch bleiben, weil zentrale Aussagen dieser Menschen diametral gegen das christliche Menschenbild und den christlichen Glauben stehen.
"Ich rede mit jedem AfD-nahen Menschen, der das Gespräch und Seelsorge sucht"
Und auf kommunaler Ebene?
Kramer: Auf kommunaler Ebene muss man natürlich mit dem Bürgermeister oder Landrat reden. Aber da steht die Frage: Wo sind die konkreten Themen? Worüber findet die Auseinandersetzung statt? Wir hoffen, dass sie die meist sehr konkreten Fragen zum Wohl der Menschen und nicht kirchenfeindlich angehen.
Wo befürchten Sie konkret Verluste für die Kirche und letztlich die Gesellschaft, wenn sich zwei zentrale Institutionen auf lokaler Ebene nichts mehr zu sagen haben?
Kramer: Das wird man sehen. Wir müssen lokal beispielsweise über Kindergärten in freier Trägerschaft, Seniorentreffs oder Fördermittel für Kirchenbauten sprechen. Darin wird sich zeigen, ob die Kirche im Dorf bleibt. Sie können auf der ganzen Welt inzwischen beobachten, wo Populismus hinführt. Sei es Trump mit dem Sturm auf das Kapitol oder der Brexit in England. Der Populismus hat in fast allen Fällen nicht gehalten, was er den Menschen versprochen hat. Aber wir als Kirche werden mit dem neuen Landrat und neuen Bürgermeister sprechen, wenn es den Menschen vor Ort nutzt.